Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
später gesammelt, redigiert, kombiniert, kanonisiert und aufgeschrieben worden – nicht für uns, die Menschen des 21. Jahrhunderts, sondern für die unmittelbaren Nachkommen derer, die das alles weitererzählt und aufgeschrieben haben. Diese hatten wenig Mühe, die Texte zu verstehen.
Wir Heutigen, die wir gar nicht die Adressaten sind, tun uns schwer damit, fragen uns auch: Was gehen uns diese alten Geschichten aus einer versunkenen Zeit überhaupt an? Welche Bedeutung haben sie noch für uns, die wir in einer völlig anderen Welt leben? Geschichten über Menschen, die nichts von Buddha und nichts von Laotse wussten, nichts von Amerika und nichts von Karl dem Großen, die keinen Motor, keinen elektrischen Strom, keine Mondrakete, keinen Computer und keine Gentechnik kannten, Geschichten über Menschen, die nichts von der Aufklärung wussten – warum also sollen wir uns mit dem Glauben dieser im Vergleich zu uns so unwissenden Menschen abgeben? Deren Glauben sogar für uns übernehmen?
Weil es Geschichten sind, die uns auch im 21. Jahrhundert, gerade jetzt, unbedingt angehen, weil sie immer noch passen und immer passen werden und weil sie immer überlebenswichtig sind, trotz dünnster historischer Faktenlage – behaupten die Theologen, die Bischöfe und Pfarrer, die gläubigen Christen, und schon in der Ursprungsgeschichte ihres Glaubens, der Geschichte von der Berufung Abrahams zu ihrem Stammvater, finden sie die ersten Belege für ihre Behauptung. Sie, die das Buch der Bücher schon mehrmals von vorne nach hinten und wieder zurück gelesen haben, erkennen in dem Satzanfang Und Gott sprach zu Abraham eine Zäsur innerhalb des ersten Buches Mose. Die elf Kapitel davor erzählen, wie Gott die Welt und den Menschen erschaffen hat, mit seiner Schöpfung zufrieden, mit der Erschaffung von Adam und Eva sehr zufrieden ist, aber dann erleben muss, wie seine Geschöpfe beständig gegen seinen Willen verstoßen und dadurch das ursprüngliche Paradies zu einem irdischen Jammertal voller Blut und Hass und Elend herunterwirtschaften. Am Ende weiß sich Gott nicht mehr anders zu helfen, als seine gesamte Schöpfung durch eine Sintflut zu vernichten und mit Noah noch einmal von vorn zu beginnen. Aber auch dieser Neubeginn misslingt, endet im Turmbau von Babel und zwingt Gott, nach einer neuen, besseren Lösung seines Problems zu suchen.
Diese ersten elf Kapitel der Bibel – Urgeschichte genannt – erzählen also eine Verfallsgeschichte, eine Geschichte des von den Menschen selbst verschuldeten Unheils. Aber im zwölften Kapitel kommt die Zäsur. Gott hat eine Lösung gefunden, und damit beginnt die Heilsgeschichte. Gott hat jetzt eine Idee.
Die Idee lautete ungefähr so: Aus Abraham sollte ein Volk werden, das Volk Gottes. Durch dieses Volk wollte Gott in der Geschichte handeln. Sein Volk, nur ihm gehorsam, sollte, stetig auf ihn hörend, der Welt beispielhaft vorleben, wie man leben muss, damit das Leben gelingt. Sein Volk sollte der Welt beweisen, dass das menschliche Handeln nicht zwangsläufig immer in jene ununterbrochene Folge von Tragödien und Katastrophen münden muss, als die wir die menschliche Unheils-Geschichte kennen, sondern trotz der Fehler und Schwächen jedes Einzelnen in eine Heilsgeschichte verwandelt und zu einem guten Ende gebracht werden kann.
Abraham und dessen Nachkommen Isaak und Jakob sind die Urväter dieser Geschichte, die Patriarchen , darum sprechen die Theologen von der Vätergeschichte . Feministinnen fragen zu Recht: Sind die Kinder der Patriarchen deren Häuptern entsprungen? Gab es keine Frauen? Keine Urmütter? Natürlich gab es sie, aber sie zählten nicht viel, damals, im Patriarchat. Genannt aber wurden sie: Sarah, Rebekka, Lea und Rahel. Verschweigen konnte man die Frauen nicht, und wenn feministische Theologinnen heute lieber von Ureltern sprechen als von Urvätern, gibt es daran nichts auszusetzen.
… in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. (1 Mose 12, 1– 3) Darin steckt der universale Anspruch von Anfang an. Dieser Gott ist zwar zunächst nur der Gott Abrahams, wird später zum Gott der Juden und noch eine Weile später zum Gott der Christen und Muslime, aber vom ersten Wort an ist klar, dass dieser Gott sich mit seiner Rolle als Gott des Abraham-Clans nicht bescheiden, sondern ein Gott für alle werden will. Er will es, weil er möchte, dass das Hauen und Stechen unter den Menschen endlich aufhört und sie anfangen zu lernen, wie sie denken, reden,
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