Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
möchte alles möglichst billig haben, aber das kriegt man nicht. Nicht bei Gott.
Nachdem es in ganz Ägypten stinkt, ist der Pharao zwar beeindruckt, aber er denkt, das steht er durch, und sagt den Israeliten: hiergeblieben. Die zweite Plage ist fällig, Frösche. Die dritte, Stechmücken. Die vierte, Stechfliegen. Die fünfte, sechste, siebte: Viehpest, Blattern, Hagel. Nummer acht: Heuschrecken. Neun: Finsternis. Hilft alles nichts. Der Pharao gibt nicht nach, meint noch immer, er könne den Machtkampf gewinnen.
Da schickt Gott die entscheidende zehnte Plage, die Antwort auf das, womit alles begann: Der Pharao hatte ja angeordnet, jedes männliche Neugeborene der Israeliten in den Nil zu werfen. Jetzt trifft es Ägypten: Die Erstgeborenen in jeder Familie des Landes müssen sterben, auch in der Familie des Pharao. Das ist von nun an die Botschaft an die Diktatoren dieser Welt. Wenn das Volk aufsteht, Freiheit begehrt, und sie wird ihm nicht gewährt, dann gibt es Tod und Verderben auf beiden Seiten.
Nach der zehnten Plage darf das Volk gehen. Der Pharao wünscht jetzt sogar, dass es gehe, denn es ist ihm unheimlich geworden. Jeder Diktator lebt seitdem mit dem heimlichen Grauen vor dem Volk, der immerwährenden Angst, es könne sich zusammenrotten und seine Herrschaft beenden. Deshalb wuchern in jeder Diktatur die Spitzelsysteme, die in das Volk hineinhören und schon bei den ersten Anzeichen von Aufruhr den Herrscher alarmieren, auf dass er solche Regungen im Keim ersticke.
Und dann ziehen sie aus. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tag in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und in der Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. (2 Mose 13, 21)
Aber den launischen Pharao, der alle zehn Plagen schon wieder vergessen hat, reut, dass er das Volk hat ziehen lassen und jagt ihm deshalb seine Truppen mit sechshundert Streitwagen hinterher. Als das Volk den Lärm dieser Streitwagen hört, die in einer großen Staubwolke herangedonnert kommen, verlässt es der Mut. Die Flüchtlinge zetern und hadern mit Mose, was er ihnen abverlange. Da hebt Mose seinen Arm, reckt seinen Stab aufs Meer, und das Meer teilt sich, die Flüchtlinge schreiten auf dem Grund des Meeres in die Freiheit, in die Wüste, und als die Truppen ihnen auf dem trockenen Meeresgrund zu folgen versuchen, schlagen die Wellen über ihnen zusammen und begraben Wagen, Ross und Reiter.
Das Volk ist gerettet. Aber nun stehen ihm die Strapazen der Wüstenwanderung bevor. Hunger und Durst unter der sengenden Sonne des Tages und der Kälte der Nacht. Murren. Aber auch Manna. Wachteln, die vom Himmel fallen. Frisches Wasser aus einem Fels in der Wüste. Kurze Zufriedenheit. Dann wieder Gefahr durch feindliche Heere. Angst, Mut, Feigheit, Murren. Sehnsucht nach Ägypten. Herumirren in der Wüste. Mose steigt herab vom Berg Sinai mit Gottes Gesetz. Die Gebote. Die Orientierung. Das Volk wieder auf Kurs, wenn auch nur kurzzeitig. Mose steigt erneut auf den Sinai, um die von Gott geschriebenen Gesetzestafeln in Empfang zu nehmen. Währenddessen fällt das Volk von Gott ab und tanzt ums Goldene Kalb. Vor Zorn zerbricht Mose die Tafeln und schreitet zur grausamen Bestrafung – es fielen an diesem Tag dreitausend Männer (2 Mose 32, 29). Neue Gesetzestafeln, neue Hoffnung, Bundesschluss und Bundespflichten. Schließlich Ankunft an der Grenze zum Gelobten Land, und statt Jubel – Nostalgie. Angst vor der frischen Luft der Freiheit, Sehnsucht nach Sicherheit und dem Mief im Sklavenhaus. Wutanfall Gottes. Er schickt sie zurück in die Wüste und wartet auf das Heranwachsen einer neuen Generation. Die erste Generation wird in der Wüste umkommen, erst die zweite wird – vierzig Jahre nach dem Auszug aus Ägypten – den Jordan überqueren und das verheißene Land einnehmen.
Das alles ist natürlich reine Theologie. Vierzig Jahre braucht man nicht, um eine Wüste zu durchqueren. Aber vierzig Jahre benötigt das Volk, um sich an seinen Gott zu gewöhnen. Vierzig Jahre dauert es, den richtigen Glauben einzuüben. Vierzig Jahre müssen vergehen, bis aus einer Notgemeinschaft, die nur vom Willen zum Überleben zusammengehalten wird, eine Schicksalsgemeinschaft wird, die auch später, wenn der äußere Druck weg ist, freiwillig zusammenbleibt, zusammenhält, das Leben gestaltet und miteinander teilt.
Erzählt wird die Urerfahrung, von der bisher noch keine der vielen Freiheitsbewegungen verschont wurde,
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