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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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Volk.
    Ein wichtiger Punkt fehlt aber noch, um zu verstehen, wie es möglich war, dass eine unbedeutende Flüchtlingstruppe mit ihrer kleinen Geschichte große Geschichte machte. Es ist der entscheidende, und er handelt von der sich herausbildenden Gemeinsamkeit am Lagerfeuer.
    So verschieden die Menschen auch waren, die da einander ihre Geschichten erzählten, so unterschiedlich ihre Herkunft, ihr Alter, ihre Berufe, ihre Erlebnisse, in einer Erfahrung trafen sich alle, erkannten sich alle wieder: in der Erfahrung, unterdrückt, versklavt gewesen zu sein. Auch diejenigen, die nicht aus Ägypten gekommen waren, wussten, wovon die Mose-Leute sprachen, denn die Abraham-, Isaak- und Jakob-Leute auf den Hügeln hatten zuvor im Tal gelebt, wo sie als Bauern unter der Fuchtel kanaanäischer Stadtkönige standen und von diesen ausgebeutet wurden. Darum sind auch sie abgehauen und in die Berge geflohen, um dort als freie Menschen ihr Glück zu versuchen.
    Und so, im Bewusstsein der gemeinsamen Ablehnung eines Lebens in Sklaverei, für das der Name Ägypten stand, erhob sich allmählich eine egalitäre «Tradition des Lagerfeuers» gegen die zentralistische «Tradition der Pyramide» (Martin Buber). So entstand Israel.

DIE SOZIALORDNUNG GOTTES: EINSPRUCH GEGEN DEN NATÜRLICHEN LAUF DER WELT
    Der Exodus ist die zentrale Erzählung Israels. Im Mittelpunkt dieser sich über vierzig Kapitel erstreckenden Geschichte stehen zwei Ereignisse: der Auszug aus Ägypten und der Bund mit Gott am Sinai. Diese beiden Geschichten bilden das Zentrum des Zentrums, sie sind der Anker, an dem das ganze Schiff hängt.
    Erzählt werden auch sie natürlich in der Sprache der Mythen, aber diesmal mit einer ungeheuren Bildkraft. Beim ersten Ursprungsmythos – der Berufung Abrahams – fiel auf, wie wenig darin eigentlich passiert. Jetzt aber, in den Exodusgeschichten, dem eigentlichen Gründungsmythos von Juden- und Christentum, donnert’s und kracht’s.
    Im ersten Akt war Gott Mose erschienen, um ihn zu beauftragen, Israel aus Ägypten zu führen. So geschieht es dann auch – und Gott hilft dabei mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder (5 Mose 26, 8).
    Im zweiten Akt will Gott dem ganzen Volk erscheinen, um einen Bund mit ihm zu schließen und dem Volk das Gesetz zu überreichen, nach dem es künftig leben soll. Da lassen die Erzähler die Erde beben. Eine sichtbar neue Weltordnung möchte Gott auf der Erde etablieren, und dazu braucht er Menschen, die sich freiwillig dienstverpflichten lassen für dieses Ziel.
    Daher genügt es nicht mehr, dass er immer nur mit Mose verhandelt. Jetzt muss Gott dem ganzen Volk erscheinen. Deshalb beauftragt er Mose, das Volk darauf vorzubereiten.
    Als Schauplatz des Geschehens hat Gott den Berg Sinai gewählt. Dort, im Niemandsland zwischen Ägypten und Kanaan, außerhalb des Machtbereichs irdischer Könige, soll das Ereignis stattfinden.
    Am dritten Tag des dritten Monats nach dem Auszug aus Ägypten ist es so weit. Das Volk versammelt sich am Fuß des Berges Sinai – die erste Gemeindeversammlung der Welt. Gottes Erscheinen kündigt sich an mit Donnern und Blitzen. Eine dicke Wolke senkt sich auf den Berg, und zu hören ist der Ton einer starken Posaune. Rauch steigt auf. Feuer dringt durch die Wolke. Der Posaune Ton ward immer stärker. (2 Mose 19, 18) Der Berg zittert, die Erde bebt. Oben, am Gipfel, ist Gott angekommen.
    Gott ruft Mose. Der steigt hinauf.
    Als Mose wieder hinabsteigt zu seinem Volk, mit zwei Tafeln in der Hand, ist die Welt eine andere. Zu Recht müssen jetzt die Herrscher zittern, denn was Mose da in seinen Händen hält, diese zwei Tafeln, von Gott selbst geschrieben, stürzt die Welt um.
    Bisher galt überall auf der Welt das Rudel- und Urhordenprinzip. Es hatte sich als für das Überleben vorteilhaft erwiesen, eine Hierarchie auszubilden, mit einem Rudelführer an der Spitze und einem Underdog und Sündenbock am unteren Ende. Rudelführer wird, wer die größte Beute macht.
    Nach diesem natürlichen Prinzip haben auch die ersten menschlichen Urhorden funktioniert, und später, als man sesshaft geworden war, Ackerbau und Viehzucht betrieb, Lesen und Schreiben lernte, wurde das Prinzip nicht abgeschafft, sondern fortentwickelt, verbessert, kultiviert und perfektioniert. Priester verliehen jetzt dem Prinzip die religiöse Weihe. So bildeten sich ab etwa dem fünften Jahrtausend vor Christus die ersten Hochkulturen in Mesopotamien,

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