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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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jemand würde fordern, am Starnberger See sollten alle sieben Jahre die Seegrundstücke neu verteilt werden. Oder wenigstens, die Erben sollten den Platz am Ufer der Allgemeinheit zurückgeben.
    Was damals vor 3000 Jahren Gesetz war, gilt heute unter Marktscholastikern, Bankern, Topmanagern und sogenannten Realpolitikern als lächerliche Sozialromantik. Dieser gutgemeinte religiöse Schmonzes sei die sicherste Garantie für Misserfolg, höhnen die Realisten dieser Welt und haben sich das verächtliche Wort «Gutmensch» ausgedacht, um damit jede utopische Vorstellung von einer anderen Welt niederzuknüppeln und die Menschheit auf ewig ans Diktat ihrer Gene und ihrer Herkunft aus der steinzeitlichen Urhorde zu ketten.
    Aber was ist Erfolg? Ist nicht «Überleben» der Erfolg schlechthin? Warum, so fragte der Schriftsteller Walker Percy, wundern sich unsere Erfolgstypen eigentlich nicht, dass sie an der New Yorker Börse, an den großen Handelsplätzen dieser Welt, in den Medien und in der Kultur zwar vielen Juden begegnen, aber keinem einzigen Hethiter, Philister, Assyrer oder Babylonier?  14 Warum hat von den vielen Kulturen der mächtigen Herrenvölker, von denen Israel einst umgeben war, die jüdische als einzige bis heute überlebt? Etwa, weil sie sich weltfremder Sozialromantik ergab?
    In der altisraelischen Sozialordnung steckt ein Überlebenscode. Wenn die Menschheit auf diesem Planeten ohne größere Katastrophen überleben will, wird sie diesen Code nicht ignorieren können.
    Aus ihrem früheren Leben in Ägypten kannten die israelischen Rebellen die bewunderungswürdigen Kulturleistungen der alten Völker, sie kannten aber auch den Preis: Es war ihr Schweiß, ihr Blut, ihre Gesundheit, ihr Leben, das für den Bau dieser großartigen Kultur verbraucht wurde.
    Kultur war immer nur möglich auf der Basis einer ausgebeuteten, selber von Kultur ausgeschlossenen Masse. Noch Friedrich Nietzsche hielt das für eine Art Naturgesetz. Kultur ist für ihn an Aristokraten gebunden, die über freie Zeit, Muße, Geld und Macht verfügen. Kultur erfordert Bildung und Geschmack. Diener, Lakaien, Sklaven haben das nicht, und darum brauche man sie mit sozialen Wohltaten nicht behelligen, meinte Nietzsche.
    Schon jene ehemaligen Sklaven haben, als sie sich ihrer Fesseln entledigten, darüber nachgedacht, ob das stimmt. Und ihre Antwort war der Sabbat: Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht der Fremdling . Und wieder geht es nicht ohne die stereotype Erinnerung: Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der Herr, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. (5 Mose 5, 13–15)
    Sechs Tage in der Woche arbeitete Israel. Ganz Israel. Es gab keine Oberschicht, die der Arbeit enthoben war. Sechs Tage in der Woche gehörte ganz Israel zur Unterschicht. Aber am siebten Tag gehörte ganz Israel zur Oberschicht, war jeder und jede ein Herr und eine Herrin, sogar der Knecht und die Magd, ja sogar die Tiere.
    Am Sabbat erinnerte sich ganz Israel seiner Geschichte. Man erzählte einander, las in alten Texten, versammelte sich öffentlich. Keiner wurde ausgeschlossen. Bildung für alle war nie ein erklärtes Ziel, sondern eine Nebenwirkung der gemeinsamen Sabbatheiligung. Durch sie lernte das ganze Volk, dass es sich Voraussetzungen verdankt, die es selbst nicht geschaffen hat und selbst niemals schaffen kann.
    Darum stehen der Sabbat und der Sonntag stellvertretend für alles Humane, alles Soziale, alles Recht, das der von Natur aus barbarischen Wirklichkeit seit dem Exodus abgetrotzt wurde und immer wieder neu abgetrotzt werden muss. Im jüdischen Sabbat und im christlichen Sonntag steckt der Überlebenscode.
    Die aus dem Machtbereich der kanaanäischen Stadtkönige geflohenen Gruppen, die als unterdrückte Bauern unter der Knute der Zinsknechtschaft gelebt hatten, lassen diese Erfahrung in ein Zinsverbot einfließen: Wenn dein Bruder verarmt neben dir und sich nicht mehr halten kann, so sollst du ihm Hilfe leisten, er sei ein Fremdling oder Beisasse, damit er bei dir leben kann. Du sollst ihm dein Geld nicht auf Zins geben noch deine Nahrungsmittel um einen Wucherpreis . (5 Mose 29, 10–11)
    Sogar das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung

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