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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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Ägypten, Indien und China. Aus ihnen entstanden die ersten Weltreiche. Sie wurden wieder zerstört und gingen unter, wenn in der Nachbarschaft ein besserer Rudelführer heranwuchs, der sich beim Beutemachen raffinierterer Herrschaftstechniken bediente, klügerer Taktik, intelligenterer Strategien und modernerer Waffen.
    Nachdem Gott diesem gegenseitigen Sich-Bekriegen und Erobern und Vernichten ein paar Jahrtausende lang zugeschaut hatte, sagte er: Ich will mir ein Volk erwählen, das der Welt zeigt, dass es eine intelligentere Lösung gibt.
    Diese Lösung trug Mose mit seinen zwei Tafeln vom Berg herunter. Man muss, um heute noch ermessen zu können, was das damals bedeutet hat und selbst heute noch bedeutet, die biblischen Texte frei in unsere Sprache übersetzen. Und in dieser Sprache hat Mose den ehemaligen Sklaven sinngemäß gesagt: Ihr seid freie Wesen. Ihr könnt wählen, ob ihr eurer inneren Natur gehorchen wollt, ob ihr euch von euren Genen und euren Wünschen nach Geld, Macht und Sex versklaven lassen wollt, oder ob ihr dem Pharao in euch den Gehorsam aufkündigt. Ihr seid in der Lage, euch frei zwischen zwei grundverschiedenen Prinzipien zu entscheiden. Ihr könnt dem Ruf der Urhorde und euren Trieben folgen oder euch aus freiem Entschluss an andere Ziele binden, an Gerechtigkeit beispielsweise, Gleichheit oder Achtung und Respekt vor dem anderen. In dieser Wahlfreiheit liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und die Möglichkeit von Würde. Jetzt entscheidet.
    Und Israel entschied sich. Gegen den Zwang der Natur. Für die Freiheit Gottes. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es Freiheitskämpfer, die nicht deshalb rebellierten, damit sie sich nach erfolgreicher Rebellion selber zu Herren über die anderen aufschwingen konnten, sondern damit dieses ewige übereinander Herrschenwollen ein für alle Mal aufhört. Dies ist gemeint, wenn vom Gesetz, der Thora, die Rede ist.
    Wir haben uns angewöhnt, unter Gesetz die Zehn Gebote zu verstehen und die vielen Rechts- und Kultvorschriften, aus denen das Alte Testament besteht. Wir vermögen in diesen Geboten kaum etwas anderes zu erkennen als die israelische Variante des auch in anderen Völkern gemachten Versuchs, die Regeln für das Zusammenleben der Menschen auf eine vernünftige Basis zu stellen.
    Das ist zunächst auch so. Und doch ist es darüber hinaus noch ganz anders.
    Was uns heute als Israels Gesetz in der Bibel vorliegt, ist natürlich nicht im zwölften Jahrhundert vor Christus gleich nach der Flucht aus Ägypten Mose von Gott am Berg Sinai auf zwei Tafeln überreicht worden. Das Gesetz ist auch kein Produkt der Flüchtlinge, das sie in der Wüste und danach fertig konzipiert haben. Diese ganze Sinai-Geschichte ist schon wieder Mythos, eine spätere Konstruktion. Tatsächlich ist die Tora in einem langen, über Jahrhunderte sich erstreckenden Prozess aus zuerst mündlichen Überlieferungen entstanden und dann zwischen dem zehnten und vierten vorchristlichen Jahrhundert schriftlich fixiert worden.
    Und natürlich hat Israel dabei nicht bei null angefangen. Schon in den ersten mündlichen Überlieferungen stecken außerisraelische Einflüsse, Erfahrungen der anderen Völker, Weisheiten älterer Kulturen. Das junge Israel bedient sich aus dem Vorhandenen, prüft es, übernimmt, was es für gut hält, scheidet aus, was es nicht brauchen kann, ergänzt den Rest durch immer mehr Eigenes, lässt sich dabei traumwandlerisch sicher von den Ägypten- und Wüstenerfahrungen leiten und formt daraus sein spezifisch israelisches Gesetz, das sich am Ende dann doch signifikant von den Regeln der anderen unterscheidet.
    Und in diesem Unterschied liegt die Pointe, um derentwillen man vielleicht doch lieber Christ als Buddhist oder Hinduist ist. Am Ende wird da nämlich in Stein gemeißelt: Die Herrschaft von Menschen über Menschen muss aufhören. Gott soll über alle herrschen, nur er allein. Er allein soll verehrt werden, kein König, kein Priester, kein Götze soll ihm Konkurrenz machen dürfen. Alle sind gleich. Es darf keine Armen geben. Gerechtigkeit soll herrschen. Dieser Gedanke ist so neu und unerhört, und so folgenreich, dass der Bundesschluss unter Donner, Rauch, Blitz und einem vulkanischen Beben tatsächlich das angemessene Bild für diesen Vorgang ist.
    Die neue Ordnung, an der das Volk seit dem Zug durch die Wüste arbeitet, schält sich im Lauf der Zeit immer mehr als Gegenmodell zu Ägypten und den kanaanäischen Königsdiktaturen heraus. Es

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