Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht . Aber auf einen Kompromiss ließ sich Gott ein. Er schickte Mose in eine Felsenhöhle, um daran vorbeizugehen. Während er das tat, bedeckte er mit seiner Hand Moses Gesicht, und wenn ich dann meine Hand zurückziehe, so magst du mir hinten nachsehen; aber mein Angesicht soll man nicht sehen . (2 Mose 33, 18 – 23)
Den Rücken des verschwindenden Gottes durfte Mose sehen, mehr war selbst für ihn nicht drin. Nicht einmal Mose durfte sich ein Bild von Gott machen. Darum muss jedes Bild, das sich Menschen von Gott machen, notwendigerweise falsch sein. Gott sprengt das menschliche Vorstellungsvermögen. Deshalb, und weil immer die Gefahr besteht, dass aus Bildern Götzen werden, sollen wir ja auch das Bildermachen bleiben lassen. Nicht wir sollen uns ein Bild von Gott machen, sondern er hat sich längst eins von uns gemacht – nach seinem Bilde hat er uns geschaffen.
Doch wer von Gott redet, macht sich zumindest sprachlich Bilder von Gott. Es geht gar nicht anders. Ging nie. Die Bibel ist voll von sprachlichen Gottesbildern. So gut wie jede Geschichte zeichnet ein Bild von Gott. Die Bilder verändern sich im Lauf der Zeit, entwickeln sich, widersprechen einander, müssen daher miteinander verglichen, geprüft, restauriert und neu entworfen werden. Es ist ein fortwährender, dynamischer Prozess, man darf nie vor einem einzigen Bild verharren, muss von Bild zu Bild springen wie im Treibeis von Eisscholle zu Eisscholle, nur so kommt man voran, wenn auch selten oder nie ans Ziel, und niemals zu einem endgültigen, für alle verbindlichen Gottesbild. Immer muss man sich bewusst sein: Jedes Bild ist falsch.
Diese Einsicht öffnet natürlich einem relativistischen Standpunkt Tür und Tor. Wenn es so gut wie gar nichts gibt, was historisch gesichert ist, außer dem dünnen Faktum, dass Jesus wirklich gelebt hat, dann fehlen dem christlichen Glauben wichtige Anhaltspunkte in der Realität, und dann hat im Prinzip jedes Jesus- und Gottesbild seine Berechtigung. Damit wird aber der Glaube zu einer Sache der subjektiven Beliebigkeit. Und damit wird es sinnlos, überhaupt noch irgendwelche Aussagen über Jesus und Gott zu machen.
Oder gibt es einen Ausweg? Gibt es über alle Widersprüche hinweg etwas Gemeinsames, Unbestreitbares, woran wir uns halten können?
Christen glauben laut eigenem Bekenntnis an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten .
In der katholischen Kirche und in den wichtigsten Varianten der evangelischen Kirchen wird dieses apostolische Glaubensbekenntnis an jedem Sonntag von allen Gottesdienstbesuchern gesprochen. Orthodoxe sprechen einen anderen, älteren Text – das nicäische Glaubensbekenntnis –, der jedoch mit keinem Wort im Widerspruch zu diesem Bekenntnis steht.
Der Text ist klar. Aber ist er auch wahr? Und: Bedeutet er, was er sagt? Mehr als anderthalb Jahrtausende lang war die Antwort auf diese Frage eindeutig: Jawohl, er ist wahr, und zwar genau in dem Sinn, wie es seine Worte aussagen. Der Text kann buchstäblich so genommen werden, wie er dasteht.
Mehr als anderthalb Jahrtausende lang haben die Christen tatsächlich wortwörtlich geglaubt, dass Maria trotz Empfängnis und Geburt Jungfrau geblieben ist. Sie bezweifelten nicht, dass Jesus auf dem Wasser laufen konnte, Wasser in Wein verwandelt, Kranke geheilt, Dämonen ausgetrieben und Tote auferweckt hat. Sie waren davon überzeugt, dass Jesus drei Tage nach seinem Tod als wiederbelebter Leichnam zu seinen Jüngern zurückgekehrt ist, dem ungläubigen Thomas sogar erlaubt hat, seine Wunden zu berühren, mit den Jüngern gegessen und getrunken hat und nach vierzig Tagen auf einer Wolke in den Himmel getragen wurde. Und weitere zehn Tage später vermeinten seine Anhänger während einer Versammlung, die Anwesenheit und das Wirken des Heiligen Geistes physisch zu verspüren. Seitdem glaubten die Christen an die Dreieinigkeit aus Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Viele einfache Menschen glauben das heute immer noch.
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