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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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Und es krähte der Hahn. Von jetzt an war Jesus allein.
    War er auch allein, als er am Kreuz starb? Die Evangelien machen darüber sehr unterschiedliche Angaben, die in einem bemerkenswerten Detail auffällig übereinstimmen: Die Jünger sind weg. Nur die Frauen sehen – bei den meisten Evangelisten aus der Ferne – wie Jesus stirbt.
    Laut Markus sahen Frauen von ferne zu, unter ihnen auch Maria Magdalena und Maria, des jüngern Jakobus und Joses Mutter, und Salome, die ihm, als er in Galiläa war, nachgefolgt waren und ihm gedient hatten, auch viele andere, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren (Markus 15, 40).
    Nach Matthäus waren aber daselbst viele Frauen, die von ferne zusahen, welche Jesus von Galiläa her gefolgt waren und ihm gedient hatten, unter ihnen waren Maria Magdalena, und Maria, die Mutter des Jakobus und Joses, und die Mutter der Söhne des Zebedäus (Matthäus 27, 55–56).
    Lukas zählt auf : alle seine Bekannten von ferne und die Frauen, die ihm von Galiläa her nachgefolgt waren (Lukas 23, 49).
    Nur bei Johannes stehen vier Menschen so nah am Kreuz, dass Jesus mit ihnen sprechen kann, und zwar drei Frauen, die kurioserweise alle Maria heißen: die Mutter Maria, Maria Magdalena und eine weitere Maria, die als Schwester der Gottesmutter vorgestellt wird. Mit dabei: ein Mann ohne Namen, von dem es heißt, der Jünger, den Jesus lieb hatte (Johannes 19, 25–26).
    Frauen sind die Letzten, die Jesus sehen. Frauen balsamieren seinen Leichnam. Frauen sind die Ersten, die den Auferstandenen erblicken.
    Was immer diese Übereinstimmungen und Unterschiede in den Aufzählungen und die Hervorhebung der Frauen zu bedeuten haben, in dem einen Punkt, in dem die Texte schweigen, tun sie es so laut, dass einem die Ohren klingen. Das Schweigen sagt: Von den Männern, die in besseren Zeiten engstens mit Jesus zusammengearbeitet und sich wichtig gemacht haben, fehlt in der Stunde seines Todes jede Spur. Jesus stirbt, und seine Jünger sind weg.
    Wahrscheinlich hatten die Jünger in typisch männlicher Manier immer gedacht: Wenn Jesus der Messias ist und sich demnächst in seiner ganzen Macht und Herrlichkeit allen offenbart, dann wird er der Dirigent sein, und wir, seine engsten Mitarbeiter, werden die erste Geige spielen. Dass sie so berechnend waren, beweisen die vielfältig bezeugten Rangstreitigkeiten, die es unter den Jüngern gegeben hat  20 , und ihre sie brennend interessierende Frage, wann es denn nun anfinge mit der Gottesherrschaft, wie es dabei zugehe und welche Rolle sie dabei spielen würden.
    Als sie dann hörten, Jesus werde gekreuzigt, wird jeder für sich gedacht haben: Vergiss es. Vorbei. War alles nur ein Irrtum. Hirngespinste. Und daher geht es jetzt nur noch um eines: die eigene Haut retten. Die größtmögliche Distanz wahren zu Jesus, diesem Verlierer. Rückzug aus der Öffentlichkeit. Schwamm drüber. Über die Sache muss Gras wachsen. Und dann kann man irgendwann einmal wieder nach einem neuen, erfolgversprechenderen Messias Ausschau halten. Oder es auch bleiben lassen.
    Normalerweise hätte die Sache Jesu damit erledigt sein müssen. Normalerweise hätte dieser Jesus jetzt, wie all die anderen im Lauf der Jahrzehnte von den Römern gekreuzigten Unruhestifter, dem Vergessen anheimfallen müssen.
    Ähnlich stand es ein halbes Jahrtausend zuvor, als das Restkönigreich Juda unterging. Auch damals war alles vorbei. Auch damals waren die Nachkommen der ägyptischen Flüchtlinge eigentlich zum Aussterben verurteilt, zum Verschwinden aus der Geschichte. Stattdessen ging es danach erst richtig los. Die Geschichte mit Gott wurde einfach ohne König, ohne Land und ohne Tempel weitergeschrieben, und sogar besser als mit König, Land und Tempel.
    Nun wieder dasselbe. Die Römer denken: Kreuzigen wir ihn, dann haben wir einen Unruhestifter weniger. Damit aber fängt die Unruhe erst an. Plötzlich heißt es: Jesus ist auferstanden. Er lebt. Wir haben ihn gesehen. Und dann sehen ihn alle, sprechen mit ihm, nach vierzig Tagen ist Himmelfahrt, nach fünfzig Tagen Pfingsten. Und nach dreihundert Jahren kracht das Römische Reich zusammen und wird von den Christen übernommen.
    Was immer damals passiert ist nach der Kreuzigung, eines kann nicht geleugnet werden: Die Jünger, die sich in ihre Löcher verkrochen hatten, die etwas ferner stehenden Anhänger, die davon ausgingen, die Sache sei erledigt, und alle, die einmal an dieser Angelegenheit interessiert gewesen waren und sie nach dem

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