Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
nur um Freiwillige. Mit ihnen wollte er einen neuen Anfang machen bei dem Versuch, Volk Gottes zu werden. Dass er darüber zum Stifter einer neuen Religion wurde, hat er wohl selbst nicht geahnt, auch gar nicht angestrebt. Die Gründung einer christlichen Kirche lag nicht in seiner Absicht.
Auch die Jerusalemer Urgemeinde war sich nicht bewusst, Keimzelle einer neuen Weltreligion zu sein. Deren Mitglieder zählten sich weiter zu den Juden, hielten sich an das jüdische Gesetz, lasen das Alte Testament und verstanden sich nicht als Christen, sondern als eine jüdische Gruppierung unter anderen, von denen es damals viele gegeben hat, die Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Zeloten, die Leute in Qumran und das hellenistische Diasporajudentum.
Auf die Idee, ihre Botschaft griechischen Heiden zu verkünden, wären Jesu Anhänger nie gekommen. Er selbst hatte daran auch nie einen Gedanken verschwendet. Die griechische Welt war ihm fremd, genauso fremd wie seinen hinterbliebenen Anhängern. Vertraut war sie nur den hellenistischen Diasporajuden, die zu einem großen Teil gar nicht mehr oder nicht mehr richtig hebräisch oder aramäisch sprachen, sondern griechisch, und das Alte Testament in einer griechischen Übersetzung lasen, der Septuaginta . Trotz ihrer Existenz inmitten einer griechischen Umwelt lebten sie getrennt von dieser, orientierten sich am Tempel, solange es ihn noch gab, nach seiner Zerstörung an Jerusalem, solange es dieses noch gab, und als auch Jerusalem zerstört war, betrachteten sie die Thora und die Synagoge als ihre Heimat – genau wie die getauften jüdischen Jesus-Anhänger, die sich von den Heiden fernhielten und ihre Jesusbotschaft fast ausschließlich an die anderen jüdischen Gruppierungen richteten.
Diese aber reagierten befremdet, fühlten sich provoziert von der neuen Botschaft. Denn der Glaube der Jesus-Anhänger an den Gekreuzigten als den Messias war für diejenigen Juden, die Weltumstürzendes erwartet hatten, eine unerhörte Verrücktheit, für viele war es Gotteslästerung und darum unter den Juden nicht mehrheitsfähig. Die politisch-religiösen Strukturen des Judentums waren trotz der vielfältig existierenden Gruppen schon längst so verhärtet, dass sie von den wenigen Jesus-Anhängern nicht mehr aufgebrochen werden konnten.
Vermutlich wären diese ersten Christen eine Episode geblieben, als jüdische Sekte in die Geschichte eingegangen und eine Angelegenheit für ein paar Spezialisten der jüdischen Geschichte geworden, wenn nicht plötzlich in Kleinasien ein Mann aufgetreten wäre, der alles wendete, der fanatische Christenverfolger Saulus. Schlagartig, allein, und auf eine für ihn erschütternde Weise, hatte der für das Gesetz und den alten Glauben eifernde Christenhasser plötzlich erkannt, was sich denen, die er verfolgte, im Verlauf vieler Wochen und Monate nur gemeinsam und allmählich erschlossen hatte: dass gerade in der Botschaft vom Kreuz das eigentlich Weltumstürzende liegt, das die Juden erwartet, aber nicht erkannt hatten, und dass dieses Sterben der Gottheit am Kreuz revolutionärer ist als alles, was sich die Propheten des Alten Testaments an Messiashoffnungen und an Schilderungen seines Kommens ausgedacht hatten.
Die Heftigkeit dieser blitzartigen Eingebung hat die ganze Persönlichkeit des Saulus verwandelt, den eifernden Christenhasser zum eigentlichen Sendboten Jesu Christi gewendet. Von seiner neuen Erkenntnis war Saulus so erfüllt, dass er unaufhörlich davon reden und es allen erzählen musste, Juden wie Griechen.
Auf ihn geht das Wort vom Damaskus-Erlebnis zurück, denn Saulus war auf dem Weg nach Damaskus, als ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte , er zur Erde fiel und eine Stimme hörte, die zu ihm rief: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sagte: Wer bist du, Herr? Der aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. (Apostelgeschichte 9, 3–5)
Als Saulus wieder aufstand und aufblickte, war er blind und musste nach Damaskus geführt werden. Drei Tage lang blieb er blind, aß nicht und trank nicht, bis Ananias, ein Christ, ihm die Hand auflegte. Und alsbald fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er konnte wieder sehen und stand auf und ließ sich taufen, nahm Speise und stärkte sich. (Apostelgeschichte 9, 18)
Das Damaskus-Erlebnis samt anschließender Bekehrung wird häufig mit dem Wandel von Saulus zu Paulus in Verbindung gebracht, so, als ob sich Saulus danach in Paulus umbenannt hätte. Tatsächlich aber trug er vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher