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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Fahrt fasste ich mir immer wieder an die Ohren und wunderte mich, dass sie angesichts der unaufhörlichen Wortsalven nicht längst bluteten. Kosewitz, der vorgab, »waschechter Köpenicker« und ehemaliger Beamter zu sein, schimpfte sich »Makler aus Überzeujung«.
    »Wissen Se, Herr Topas«, den Versuch, meinen Namenrichtigzustellen, gab ich nach dem fünften Anlauf achselzuckend auf, »Wohnen is nich nurn Dach uffm Schädel. Dit is ne sssivisatorische Errungenschaft. Kultur is dit! Aba dazu braucht der Laie nen Mann vom Fach. Eenen, der wie icke die Sssiejeltempel der Welt kennt.«
    Sssiejeltempel heißt auf Hochdeutsch übrigens »Ziegeltempel«. Der Berliner hat ja einen todsicheren Instinkt für das Vertauschen von S- und Z-Lauten. Der Sssiejeltempel ist also nicht zu verwechseln mit dem von West nach Ost fließenden »Zzzolidaritätszuschlag«.
    »Und mir, Herr Topas, macht deswejen keener mehr Estrich für Beton vor.«
    Estrich für Beton? Da der Dauerbeschaller an diesem Punkt seiner Suada an einer roten Ampel stoppen musste, hätten wir die Gelegenheit zur Flucht nutzen sollen. Warum noch weitere Belege seiner furchterregenden Fachkompetenz abwarten? Doch wir waren wie gelähmt. Zweifelsohne eine allergische Reaktion auf den blühenden Blödsinn, der uns ohne Unterlass serviert wurde.
    »Und jeda Dummbatz will nur noch Laje. Alle plärren se rum: ›Jröße is mir ejal, Luxus is mir ejal, Preis is mir ejal. Allet, wat ick will, is Laje, Laje, Laje.‹«
    Das schien ihn zu empören, denn bei jedem »Laje« haute er mit voller Wucht auf die Hupe. In Tempelhof störte das niemanden. Waren wahrscheinlich alle noch taub aus den Zeiten der Luftbrücke.
    »Da könnt ick kotzen. Wenn alle nur Laje wollen, wer kooft denn dann die Lajenhüter? Scherz, Herr Topas, Scherz. Aba jut, der Kunde is King Kong, wie ick imma sache. King Kong wie König, vastehn Se?«, hustete er in die Windschutzscheibe, weil er sich beim Prusten über seinen Hammergag verschluckt hatte. »Aba doof war jestern. Wenn alle ›Laje‹ wollen, biete ick eben nur sssentral jelejene Mörtelburjen.Citylaje, Citylaje, Citylaje.« Und wieder: trööt, trööt, trööt. Wir konnten uns gar nicht so schnell fremdschämen, wie der Immoprediger seine Peinlichkeiten raushaute. »Und wat der Job für ’n Stressfaktotum is, dit macht sich ja keener klar. Wat ick alleene Tach für Tach an Kilometern abreiße.«
    »Wie kommen all diese Kilometer denn zusammen, werter Herr Kosewitz«, hätte ich gern eingeworfen. »Wo doch all Ihre Objekte so zentral gelegen sind?« Aber der Mann holte ja nie Luft. »Ick mach keenen Mörder aus meener Herzensjrube. Wat ick vadiene, reicht grade ma für de Portokasse. Aba ick komm über de Runden. Knapp wie nen Tanga, aba imma noch bessa als nackisch. Oda nich, Herr Topas?«
    Ich war begeistert von so viel sozialem Engagement. Besonders, weil ich beim Lesen des Exposés schon einmal die Höhe der anfallenden Makler-Courtage überschlagen hatte. Interessant, wie viel Geld manche Leute für ihre Portokasse brauchen. Während der Sabbelvogel ununterbrochen weiterzwitscherte, erreichten wir unseren Mariendorfer Bestimmungsort. Er quetschte seinen Astra in einem atemberaubenden Manöver in eine Parklücke, die selbst einem Smart zu klein gewesen wäre. Jetzt war mir klar, wie der Opel zu seinen Beulen kam. Rechts von uns stand das Reihenendhaus im besten Eighties-Post-Bauhaus-Design, das wir schon von den Fotos kannten. Auf denen hatte es allerdings nicht ganz so finster und runtergekommen ausgesehen. Die verdreckten Waschbetonplatten der Fassade erinnerten stark an Marzahner Wohnsilos. Auch die aus Rauchglas gefertigte Haustür bot im hellen Tageslicht einen weitaus erschreckenderen Anblick als auf den offenbar stark nachbearbeiteten Bildern. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass meine Frau mit einem Ausdruck der Fassungslosigkeit abwechselnd mich und die Waschbetonpretiose anstarrte. Wahrscheinlich sprach sie mir nun endgültig jegliche Geschmackssicherheitab, genoss insgeheim aber sicher auch ihren Triumph. War doch meine Wahlimmobilie – an dieser Erkenntnis führte leider schon vor der Besichtigung kein Weg vorbei – ein ebenso tiefer Griff in die Jauchegrube wie ihr Einödflop.
    Kosewitz steuerte, nachdem er aus dem Kofferraum einen dicken Packen Pläne, Fotos und diverse Schlüssel gezerrt hatte, frohen Mutes auf den Dusterschuppen zu. »Na, zu viel versprochen, Familie Topas?«, tönte er in ungebrochenem Optimismus. »Dit is

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