Das Dach kommt spaeter
immer zu dem gleichen Ergebnis. Von Zukunftssorgen gemartert, wälze ich mich bis zum Morgengrauen hin und her, hinterher keinen Deut schlauer als zuvor. Dabei sagt die Bibel völlig zu Recht: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Das müsste doch eigentlich auch für Moslems gelten, gelingt bei mir jedoch nie: Kaum plagt mich irgendein seelischer Wind, kriege ich kein Auge mehr zu. Das Problem zwickt und zwackt mich wie ein kleiner sadistischer Teufel im gesamten Körper. So auch in jener Nacht. Ich warf mich nach rechts. Keine zwei Minuten später wieder nach links. Und wieder nach rechts. Zurück nach links. Zwischendurch legte ich mich zur Abwechslung mit angelegten Armen stocksteif auf den Rücken. Vom Starren in die Dunkelheit bekam ich Beklemmungen und fühlte mich wie lebendig begraben. Also versuchte ich es auf dem Bauch. Da aber war die Nase im Weg, und ich hatte keine Idee, wie ich mein Gesicht betten sollte, um nicht zu ersticken.
Plötzlich stand unser Kleiner in der Tür. »Babi, ich kann nicht schlafen. Du bist so laut.«
Er hatte recht. Denn ich kann nicht nur nicht still LIEGEN. Ich kann auch nicht still SEIN. Wenn mich der Zwickteufel piesackt, kompensiere ich das mit lautstarkem Seufzenund Stöhnen. Sogar meine Frau mit ihrem eigentlich komatösen Schlaf war schon mehrfach daran verzweifelt.
»Murat, grübelst du wieder? Hör BITTE auf.«
Ich kann ihren Ärger verstehen. Wer wäre nicht sauer, wenn einen der Bettnachbar mit Grunzlauten aus dem Tiefschlaf reißt? Ganz schlimm wird es, wenn mich wegen des Schlafentzugs nach einigen Stunden sinnlosen Herumwälzens die ersten Panikattacken heimsuchen. Dann robbe ich schutzsuchend an meine auf der Seite vor sich hin rasselnde Liebste heran, klammere mich fest an sie und seufze ihr in regelmäßigen Abständen meinen Weltschmerz ins Ohr. Als ich mich gerade entsprechend eingelöffelt hatte, kam Levin, um sich über meine Störgeräusche zu beschweren. Zum Glück war es im Zimmer stockfinster – es wäre mir peinlich gewesen, hätte mein Sohnemann mich in dieser Stellung gesehen, die alles andere als heroisch war. Ich wühlte mich aus dem Deckenberg und brachte den Kleinen wieder zurück in sein Bettchen.
»Tut mir leid, Levin-Maus. Babu versucht, jetzt ganz ruhig zu sein.«
Der Vorsatz war aller Ehren wert. Aber kaum hatte ich mich wieder an meine Süße herangetastet und an ihrem trostspendenden Leib angedockt, bekam ich einen heftigen Schlag in den Unterleib.
»Aarghhhh«, röchelte ich so laut, dass sofort wieder der Kurze in der Tür stand.
»Babi, was ist?«
»Nichts«, wimmerte ich und versuchte, den Schmerz durch Autosuggestion zu vertreiben. »Geh schlafen.«
Einen Wimpernschlag lang hatte ich Ann-Marie im Verdacht, mir den Ellbogen absichtlich in die Familienjuwelen gerammt zu haben. Aber ihre regelmäßigen Atemzüge bewiesen, dass sie nach wie vor im Reich der Träume weilte und der Schlag ein reiner Abwehrreflex gewesen war. ZumSchlafen brachte mich das zwar auch nicht, aber mein sonst eher basslastiges Seufzen tönte in dieser Nacht zwei bis drei Oktaven höher.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich, als hätte mich Freddy Krüger in den Krallen gehabt. In meinen Überlegungen war ich keinen Schritt weiter gekommen.
Bei der Eigenheimarie klang in meinen Ohren eine Note ganz besonders falsch: Kann sich nicht jede auf den ersten Blick vernünftig erscheinende Quartierswahl im Nachhinein als grauenhafte Fehlentscheidung entpuppen? Mal stellen sich Nachbarn als Nervensägen heraus, mal gentrifiziert sich der Stadtteil in unangenehmer Weise, mal erweist erst der Alltagstest den ungünstigen Schnitt der Räume oder dass die Heizung selbst bei Nordpoltemperaturen höchstens lauwarm wird und zwischenmenschliche Begegnungen, bei denen eigentlich nackte Haut gefragt ist, nur in Fellstiefeln, Norwegerpulli und Webpelzmantel erlaubt. Als Mieter kann man solche Probleme halbwegs gelassen hinnehmen. Im schlimmsten Fall schnürt man sein Bündel, ärgert sich, dass man schon wieder umziehen muss und die Mietpreise erneut gestiegen sind, richtet sich jedoch bald wieder im Alltag und der neuen Wohnung ein. Als Eigentümer dagegen muss man für alles, was im oder um das Haus herum passiert, die Konsequenzen tragen. Wollte ich das wirklich? Waren Menschen nicht von Haus aus (sic!) Nomaden und der auf Jahrzehnte feste Wohnsitz ein Verstoß gegen ein allgemein gültiges Naturgesetz? Oder schob ich, wie Ann-Marie bei unserer Heilbronner
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