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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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mir vorher schon noch geben können. Auch Helden brauchen hin und wieder menschliche Wärme und moralische Unterstützung. Aber egal. Wer Großes erreichen will, darf nicht wehleidig sein. Kaum hatte mich diese Latrinenparole ein wenig getröstet, stand meine Frau schon wieder neben mir. Bevor ich ihr großmütig verzeihend meine Lippen zu dem vergessenen Kuss entgegenstrecken konnte, hielt diesmal sie mir den Mund zu.
    »Murat«, flüsterte sie mit angstverzerrtem Gesicht. »Er ist hinter dem Haus.«
    Ärgerlich schob ich ihre Hand weg. Wenn ich ihrenMund verschloss, war das eindeutig vorbeugende Fürsorge. Umgekehrt war es unsinnig – jemand, der so versiert im Umgang mit heiklen Situationen war wie meine Wenigkeit, würde niemals unbedacht Lärm machen und damit sich und andere in Gefahr bringen.
    »Was soll das?«, fuhr ich Ann-Marie, vielleicht ein wenig zu heftig, an. Verschreckt drückte sie meinen Arm.
    »Pssst. Sei doch nicht so laut. Sonst hört er uns noch.«
    »Wer ist denn hier laut?«
    »Sieh da, habe ich Sie doch noch gefunden.«
    In der Tür stand ein Mensch der schrillen Sorte. Pomadisiertes Haar, das wie mit Pattex befestigt an seinem vierkantigen Schädel klebte. Eine karierte Peter-Frankenfeld-Jacke, unter der ein lila Hemd die Augen beleidigte und in unvorteilhaftem Kontrast zu den quietschgelben Schuhen stand. Aus dem aufgeknöpften Hemdkragen quollen Gorillahaare, die vermutlich Männlichkeit und Paarungsbereitschaft signalisieren sollten. Mit der rechten Hand richtete der Papageienmensch sein Smartphone direkt auf unsere wehrlosen Körper. Handelte es sich um eine neue Hightech-Waffe? Eine Knarre in Gestalt eines Mobiltelefons, das auf Knopfdruck tödliche Apps abfeuerte? Ich hatte ja seit Beginn dieses unseligen Trips das Gefühl, dass wir uns niemals aus der sicheren Großstadt hätten entfernen dürfen.
    In der Polizeiausbildung war einer der am häufigsten wiederholten Lehrsätze, in bedrohlichen Situationen persönlichen Kontakt aufzunehmen und auf Deeskalation zu setzen. Wenn ich mir den tumben Gesichtsausdruck des Buntvogels besah, hatte ich allerdings nicht den Eindruck, dass sein Hirn auf Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätze reagieren würde. Ich unterdrückte den Impuls, einfach mit beiden Fäusten auf meine Brust zu trommeln und Affenlaute auszustoßen. Stattdessen entschied ich mich für den Mittelweg –also die Art Slang, die auf komplizierte Satzkonstruktionen verzichtet.
    »Wir Freund.«
    Das schien ihn nicht zu überzeugen. Verwirrt starrte er mich an. Vielleicht hätte ich doch die alte Maxime bedenken sollen: In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod.
    »Mmmmhhh. Sind Sie nicht Familie Topal?«
    »Doch. Topal, genau«, beeilte ich mich zu versichern. »Wir harmlos. Gut Freund.«
    »Sprechen Sie kein Deutsch?«
    Deutsch war das richtige Stichwort für meine Frau. »Doch. Mei Mann isch nur grod a bissle aufgregt.«
    Ich? Aufgeregt? Aufgeregt war eindeutig sie, sonst wäre sie nicht in ihren schwäbischen Dialekt verfallen. Seitdem sie als Frau Topal in Berlin lebt, bemüht sie sich nämlich weitgehend erfolgreich um akzentfreies Hochdeutsch. Aber sobald ihr Adrenalinspiegel über Normalnull stieg, galt der alte schwäbische Leitspruch: Wir können alles. Außer Hochdeutsch.
    Der Malkasten-Gorilla ließ sein Smartphone sinken. »Frau Topal! Wir telefonierten. Zauchwitz. Butzkow-Immobilien.«
    Offenkundig ein Unternehmen, das keinen gesteigerten Wert auf dezent gekleidete Mitarbeiter legte. Dass ausgerechnet dieser Knapp-und-Zackig-Sprecher es wagte, so hochnäsig über mein Deutsch zu lästern! Kumpelhaft haute er meiner Frau auf die Schultern. Unübersehbar ein Kavalier der ganz neuen Schule. Meine Liebste sah etwas irritiert aus, ließ sich von ihm aber bereitwillig durch die Räume führen. Ich tapste unbeachtet hinterher.
    Das Haus hatte durchgehend hohe alte Sprossenfenster, so dass alle Zimmer hell waren. Ein echter Pluspunkt. Anderssah es mit den Dielenböden aus. Sie waren zwar intakt – was Ann-Marie wegen der von ihr ersehnten Knarzromantik wahrscheinlich gar nicht zu schätzen wusste –, aber in Ochsenblutrot lackiert. Oje, dachte ich nur, der ewige Dielen-Abzieh-Spaß. Ich sah mich tagelang die Schleifmaschine durch die Hütte ziehen, gegen den Feinstaub vermummt wie ein Al-Kaida-Kämpfer.
    Am Ende der Besichtigung schwelgte Ann-Marie regelrecht in Begeisterung. Jeder ihrer Jubelkommentare verschlechterte unsere Verhandlungsposition. Eigentlich konnte

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