Das Dach kommt spaeter
Kräfte. Nach Atem ringend lehnten wir am Bagger, der sich als guter Kamerad im Kampf gegen die Ruine bewährt hatte. Jetzt galt es, ihn aufzutanken und in der Rekordzeit von fünfundvierzig Minuten auf das Werksgelände zu bugsieren. Am liebsten hätte ich dieses schier unmögliche Unterfangen von vornherein abgeblasen. Aber die Vorstellung, den gutmütigen Dirk von seinem Chef in die Arbeitslosigkeit gefeuert zu sehen, trieb mich erbarmungslos voran.
»Baba, schaffen wir es, den Kramer vor sechs zu betanken und in Schöneberg abzugeben?«
»Wo Problem, Junge? Ich fahre vorneweg!«
»Das könnte klappen.« Gerd brachte seine albernen Einwürfe bevorzugt in den unpassendsten Momenten zu Gehör.
Mein Vater sprang behände wie ein junger Formel-1-Pilot in seinen wurmstichigen Benz und simulierte die Speerspitzeeines türkischen Hochzeitskorsos. Wild hupend und mit eingeschaltetem Warnblinklicht führte er unsere kleine Fahrzeugkolonne an. Ich fuhr mit der großen Schaufel bedrohlich nah an seinem Heckfenster hinter ihm her, direkt gefolgt von Gerd in seinem absurden lilafarbenen Twingo.
In der Panik, Dirks Leben zu zerstören, knüppelte ich den Radlader mit unnachgiebigem Bleifuß auf noch nie gesehene siebenundzwanzig Stundenkilometer hoch. Das hätte locker gereicht, um rechtzeitig ans Ziel zu kommen. Aber leider mussten wir noch einen Zwischenstopp machen. An einer Waschbox der nächstgelegenen Tankstelle legten wir einen selbst Sebastian Vettel zur Ehre gereichenden Boxenstopp hin und wuschen und betankten den Kramer so flink und professionell, als hätte unser Dreierteam nie etwas anderes getan. Selbst Gerd ackerte plötzlich wie besessen. Die irritierten Blicke des Personals und der anderen Kunden ignorierten wir, alles, was zählte, war, dass wir die rasende Raupe Punkt siebzehn Uhr sechsundfünfzig auf den Betriebshof von Dirks Firma lotsten.
Was für ein Wochenende. Ich zitterte vor Erleichterung am ganzen Körper. Und war schweißgebadet. Aber glücklich.
Mit stolzgeschwellter Brust kam ich nach Hause und wollte Ann-Marie von meinen Heldentaten berichten. Die sah meine total verdreckten Klamotten und meinte nur: »Geh dich waschen, Murat. Du siehscht aus wie d’ Sau.«
Kapitel 13
Wer andern eine Grube gräbt, muss wissen, wie das geht
Die Stimmung in unserer Ehe war und blieb frostig. Ein Grund dafür war, dass ich so gut wie gar keine Zeit mehr hatte, mich um unseren Nachwuchs zu kümmern, von unserer Beziehung ganz zu schweigen. Vater-Sohn-Nachmittage auf dem Spielplatz, Kinderwagenausflüge mit der Kleinen und nicht zuletzt jegliche gemeinsame Aktivität mit Ann-Marie fielen der Hausplanung zum Opfer. Lediglich nachts war ich wegen des zuverlässigen Tiefschlafs meiner Frau nach wie vor derjenige, der Ayla betüddeln durfte. Mehr als einmal erinnerte Ann-Marie mich an ihren im Auto abgelegten Schwur. Aufgeschreckt gelobte ich jedes Mal Besserung, stieß aber spätestens am nächsten Tag wieder an meine naturgegebenen Grenzen. Leider schaffte ich es trotz aller Bemühungen nicht, dem Tag mehr als vierundzwanzig Stunden zu geben. Und die waren mit beruflichen Verpflichtungen und den letzten Vorbereitungen für den Baubeginn komplett ausgefüllt.
Immerhin ging es voran, und an einem klaren, sonnigen Märzmorgen war es endlich so weit: Der Nestbau sollte unwiderruflich beginnen. Leider sammelt der Mensch zu diesem Zweck nicht einfach Ästlein wie die Schwalbe. Stattdessen macht er es wie das Erdhörnchen: Er buddelt ein Loch.
Nahezu ein Jahr war seit unserer Entscheidung, in den Club der Hauseigentümer einzutreten, vergangen. Meine kleine Familie war gewachsen, nicht gewachsen war dagegen unser Wohnklo. Für das außerdem nach wie vor die Kündigung auf dem Tisch lag. Meine Bemühungen, die Heuschrecken telefonisch zu bezirzen, hatten nicht gefruchtet. Kleinkariert bestanden sie auf ihrem dreimonatigen Kündigungsrecht. Da das nie im Leben zu schaffen war und auch die Wohnung meiner Eltern als potentielles Ausweichquartier zu klein war, wollten wir es nun doch über die Regelung der »besonderen Härte« versuchen. Weil ich keine Anwälte kannte, hatte ich mich an das Schild an Pfleiderers Bürotür erinnert und der Einfachheit halber ihn verpflichtet. Falls er sich gegenüber den Briten nicht durchzusetzen vermochte, hatten wir bald jede Menge Auslauf unter freiem Himmel.
Kosewitz verstand nicht, warum ich so viel Aufhebens um die ganze Sache machte. »Watten, Herr Topas, sparn Se sich
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