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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Musterbeispiel – sind dagegen in Bezug auf Männer völlig schizophren und wünschen sich die berühmte eierlegende Wollmilchsau. Einerseitssollen wir Sitzpinkler sein, uns andererseits aber von niemandem etwas sagen lassen. Sollen sensibel und verständnisvoll, aber bloß keine Weicheier sein. Sollen uns dressieren lassen, um dann schlimmstenfalls für einen anderen verlassen zu werden, der die dumpfe, animalische Ausstrahlung eines Türstehers hat. Ist es denn ein Wunder, wenn man als Mann in all diesem Durcheinander die Orientierung verliert? Und selbst die wichtigsten Dinge zu organisieren vergisst?
    Müde und mit weichen Knien machte ich mich Freitagnachmittag auf den Weg zu der Werkstatt, in der das Monster auf Herz und Nieren geprüft worden war. Ein freundlicher Enddreißiger empfing mich im Blaumann und meinte vertrauensselig: »Dirk meinte, Sie kennen sich mit dem großen Kramer aus? Ist ja nicht jedermanns Sache.«
    »Na klar, Kinderspiel für mich«, sagte ich, obwohl sein letzter Satz mir den kläglichen Rest an Optimismus und Selbstvertrauen geraubt hatte. Als ich mit Papieren und Schlüssel ausgestattet aus dem Bürocontainer kam und den Giganten vor mir stehen sah, rutschte mir das Herz endgültig in die Hose. Radlader gibt es in zwei Größen: XXL und in Mein-Gott-was-kommt-da-auf-uns-zu. Dieser war eindeutig Kategorie zwei. Zitternd kletterte ich auf den gut gefederten Fahrersitz und studierte die Betriebsanleitung. Alles in allem schien die Bedienung des Ungetüms nicht ganz so kompliziert wie befürchtet. Das beruhigte mich einen kurzen Moment lang.
    Als ich allerdings den Motor anwarf und das Monstrum sich kräftig schüttelte, war meine zaghafte Zuversicht sofort wieder dahin. Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge, der etwas Verbotenes tut und genau weiß, dass dies in einem großen Unglück enden wird. Am liebsten wäre ich mit einem Riesensatz aus dem Führerstand gesprungen und inSiebenmeilenstiefeln davongelaufen. Das Einzige, was mich daran hinderte, war die Furcht, Baba mein Versagen einzugestehen. Also fasste ich mir ein Herz und legte ehrfürchtig den ersten Gang ein. Das Monster setzte sich in Bewegung. Tief unter der Angst vor dem Kramer verborgen, entdeckte ich nun noch ein anderes Gefühl – das der Omnipotenz. Mit solch einem Ungeheuer unter dem Hintern gab es wenig, was mich, Murat, den Hausbauer, aufhalten könnte.
    Rumpelnd fuhr ich vom Hof und ordnete mich in den Verkehr ein. Vor mir wippte die riesige Schaufel bedrohlich auf und ab. Schlagartig wurde mir klar, warum der Fahrersitz so generös gefedert war: Jede andere Federung hatte der Hersteller sich aus Platzgründen gespart. Die Lenkung wiederum reagierte auf kleinste Unebenheiten und Berührungen, weshalb ich trotz der schneckenhaften Höchstgeschwindigkeit von zwanzig Stundenkilometern große Schwierigkeiten hatte, die Riesenraupe halbwegs auf Kurs zu halten. Sekündlich erwartete ich, mit meiner Killerschaufel vorausfahrende oder am Straßenrand parkende Autos der Länge nach aufzuschlitzen. Eine Sorge, die durch meine eingeschränkte Sicht auf den tief unter mir fließenden Berufsverkehr nicht geringer wurde. Jetzt verstand ich, wie es King Kong in New York ergangen war. Wenn man kaum sieht, was unter einem passiert, fühlt man sich wie der letzte Tollpatsch. Trost bieten allein die Superaussicht und der Respekt, den die restlichen Verkehrsteilnehmer einem entgegenbringen. Niemand wagte, zu drängeln oder mir überhaupt nur nahe zu kommen.
    Fast eine Stunde schwitzte ich im Führerhäuschen Blut und Wasser und betete, niemanden plattzumachen, dann hatte ich es endlich nach Britz geschafft. Gerd und Baba hatten große Container-Urnen für die sterblichen Überreste des Bungalows besorgt und warteten schon ungeduldig, als ichverspätet auf das Grundstück rumpelte. Beim Abbiegen bildete ich mir ein, hinter den Vorhängen des Nachbarhauses den muskelbepackten Freistilringer stehen zu sehen. Kurz machte ich mir Sorgen, dass er in der Nacht sein Mütchen an dem Kramer kühlen könnte, vertraute dann jedoch darauf, dass er auch weiterhin nur bellen und nicht beißen würde.
    »Murat, das ist Bungalow, keine Wolkenkratzer«, wunderte sich Baba über mein Megagerät. »Mit das brauchst du nicht Wochenende. Nehme ich Maschine halbe Stunde und Hütte weg.«
    Seine Augen leuchteten tatendurstig. Es war klar, dass er die Abrissschaufel am liebsten selbst bedient hätte. Aber das ging nicht. Nie im Leben hätte ich Dirk

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