Das Dach kommt spaeter
Bauleiter war, wieder auf normale Betriebstemperatur bringen konnte.
»Der Doc meent, ick soll mir de Nasenwarze wegfiedeln lassen«, meinte Kosewitz, der ganz verunsichert wirkte.
»Ja, und?«
»Vielleicht hatta recht. Seit der Warze hab ick keene Freundin mehr jehabt.«
Mir fielen, ohne nachzudenken, fünfzig andere Gründe für diese bedauerliche Tatsache ein. Die Warze war so klein, dass man sie fast nur unter dem Mikroskop erkennen konnte.
»Und was ist mit Ihren, äh, Visionen?«
»Visionen?«
»Dem Riss?«
»Der Riss! Den hat ick schon fast vajessen! Wat machen wa denn da?«
Ich wusste schon, warum ich nie zum Arzt ging. Wieder einmal zig Stunden unnötig verlorener Lebenszeit. Da ich dringend zu einem Pressetermin musste, griff ich zu einer Notlüge.
»Mein Architekt hat sich den Riss angesehen und findet ihn völlig harmlos.«
Die Baustellen-Kassandra glotzte mich ungläubig an.
»Gucken Sie nicht so, Kosewitz. Das ist ein absoluter Crack, der weiß schon, was er sagt. Und nun frisch, fromm, fröhlich, frei wieder an die Arbeit!«
Mein Resttag war mit Interview, anschließenden Proben und abendlichem Auftritt voll verplant. Als ich gegen dreiundzwanzigUhr gerädert nach Hause kam, lag meine Gattin schon im Bett.
»Bist du krank?«, fragte ich, während ich mich auszog, um ebenfalls ins Bett zu fallen.
»Nein. Aber ich glaube, DU bist krank.«
»Wieso?«
»Weil ich es krank finde, dass du dich kaum noch um deine Familie kümmerst.«
Diese Platte hatte ich in den letzten Wochen zu oft gehört, um darauf noch anspringen zu können.
»Bitte, Ann-Marie, lass uns schlafen. Ich bin schlagkaputt. Und muss morgen wieder um sechs raus.« Statt einer Antwort hielt sie mir meinen Zettel vor die Nase:
Hochzeitstag nicht vergessen!!!!!!!!!!
»Ist es inzwischen so weit, dass du einen Erinnerungszettel und zehn Ausrufezeichen brauchst, um dich an den angeblich glücklichsten Tag unseres Lebens zu erinnern?«
»Wieso? Ich habe ihn doch trotzdem vergessen«, versuchte ich mich in Galgenhumor.
»Und ich habe es nicht anders erwartet. Ist es nicht traurig, dass ich das von meinem Mann sagen muss? Von meinem Noch-Mann«, ergänzte sie.
»Bitte, Ann-Marie. Ich versteh ja, dass du sauer bist. Und es tut mir auch entsetzlich leid. Ehrlich! Aber du weißt, dass ich mir solche Feste nie merken kann. Das ist doch kein böser Wille.«
»Mag sein. Aber es zeigt, welchen Stellenwert ich und die Kinder in deinem Leben haben. Nämlich gar keinen.«
»Ann-Marie, bitte.« Ich versuchte, sie zärtlich an mich zu ziehen, doch sie schob mich sofort weg.
»Erinnerst du dich, was ich geschworen habe, als wir uns für den Bau des Hauses entschieden haben?«
»Dass deine Oma köstliche Spätzle macht?«
»Typisch. Sobald du nicht weiterweißt, machst du blöde Witze. Ich habe geschworen, dass ich dich verlasse, wenn du dich wegen der Bauarbeiten nicht mehr um deine Familie kümmerst. Und heute ist es so weit.«
Ein Blick in ihre wild entschlossene Miene zeigte mir: Sie meinte es ernst. Ich kannte Ann-Marie gut genug, um zu wissen, dass sie ihre Entscheidung wohl durchdacht hatte und dies nicht die Retourkutsche einer beleidigten Leberwurst war. Einen Moment lang war ich wie gelähmt. Sollten an dem elenden Hausbau wirklich meine Familie und damit mein ganzes Glück zerbrechen? Ich suchte aufgewühlt nach einer Möglichkeit, meine Liebste umzustimmen. Und im Dunkel meiner Seelenlandschaft entdeckte ich tief unten ein kleines Licht, das mir den Weg zu ihrer Besänftigung wies.
»Schatz, bevor du Entscheidungen triffst, die du hinterher bereust: Ich habe vergessen, dir zum Hochzeitstag zu gratulieren, richtig. Aber ich habe nicht vergessen, dir und unseren Kindern ein Geschenk zu machen. Übernächste Woche fliegen wir zusammen eine Woche nach Fuerteventura.«
Das war natürlich frei erfunden, und ich schäme mich noch heute für diese dreiste Lüge. Vor allem, weil Fuerteventura in unserer gemeinsamen Geschichte als Ort, an dem wir unsere Flitterwochen verbracht hatten, eine ganz besondere Bedeutung hatte. Aber verdiene ich nicht mildernde Umstände? Ich konnte doch schlecht tatenlos zusehen, wie unsere Ehe zerbrach. Die vertrauensseligste Lebensgefährtin von allen ließ sich sofort überzeugen und umarmte mich leidenschaftlich.
»Murat, du bist furchtbar. Aber trotzdem mein Allerallerliebster!«
Ich fühlte mich schäbig und versuchte mich vergeblichdamit zu beruhigen, dass in der Liebe angeblich alle Mittel erlaubt
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