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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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soll man darauf sagen? Man hat in seinem Leben sicher hässlichere Frauen gesehen. Also tut man erst einmal so, als hätte man nichts gehört. Kann ja mal passieren bei dreißig Zentimetern Abstand voneinander, wenn man den Baulärm und das Kindergeplärre noch im Ohr hat, dazu das Dauergequatsche aus dem Fernseher ... Aber im Gegensatz zu meiner Frau war die Inquisition ein Kindergeburtstag mit Topfschlagen.
    »Murat, bist du taub? Die Hunziker sieht schon gut aus, oder?«
    In solchen Momenten weißt du als Mann, dass deine Chancen, unbeschadet aus der Situation herauszukommen, die eines bis zum Hals eingebuddelten Torwarts beim Elfmeter sind. Sagst du: »Klar, ganz hübsch, aber du siehst tausendmal besser aus«, kriegst du gleich den »Verarschen kann ich mich selber«-Blick und die harsche Anweisung: »Sei ehrlich!«
    Bist du ehrlich, folgt stante pede eine Grundsatzdiskussion. »Ja, SORRY! Dass ICH deine Kinder gekriegt habe ... Zweimal neun Monate musste ich als Tonne leben, morgens Kotzerei, abends Fressflash, zunehmen, abnehmen, Schmerzen, die einen fast bewusstlos werden lassen, Falten am Bauch, und jetzt ist der werte Herr Gemahl auch noch unzufrieden. SORRY! Echt!«
    Türenknallen, Schmollprogramm, Versöhnungsdatum ungewiss. Als ob man ernsthaft von der eigenen Frau verlangen würde, wie ein Magermodel durch die Gegend zu staksen. Man möchte ja umgekehrt auch nicht mit irgendwelchen athletischen Unterhosenposern verglichen werden. Wobei ich mich früher mit meiner schicken, sportlichenErscheinung vor diesen grillgegerbten Schönlingen nicht zu verstecken brauchte. Heute tröste ich mich damit, dass ich im Gegensatz zu denen wenigstens ein Gehirn spazieren trage. Für dieses sackförmige Ding, das ich einst »Jacke« nannte und das nun den Grundstock meines Alltagsoutfits darstellt, schäme ich mich trotzdem. Das ist inzwischen eine Abstellkammer in Bekleidungsform, quasi ein Geräteschuppen zum Anziehen. Weil man als Papa ja immer alles dabeihaben muss. Meine Anne machte mir sogar mal den Vorschlag: »Schaff dir doch eine Handtasche für Männer an.« Sicher gut gemeint, aber eine Handtasche geht als Mann so was von gar nicht. Da könnte ich ja gleich in das rote Minikleid meiner Süßen schlüpfen. Also: alles rein ins Jackett!
    Da ist zuerst einmal das Handy, klar. Nichts gegen Smartphones, aber manchmal wünsche ich mir die Zeit zurück, in der ein Handy vor allem klein sein musste. Dann habe ich zwei gigantische Schlüsselbunde: einer für Wohnung plus Keller plus Haustür plus Auto, Motorrad und Fahrrad (obwohl ich mittlerweile sowieso meistens mit der BVG unterwegs bin), der andere ist voller Schlüssel für die Baustelle und alles, was es da an Vorhängeschlössern zu entsichern gibt. Dann die mit Kreditkarten, Monatskarten, Notizen, Quittungen, Visitenkarten und Kleingeld prall gefüllte Brieftasche. Die Ersatzwindel steckt dort, wo früher mal meine Dienstwaffe saß. Wenn Not am Kind ist, zieht niemand die Windel so schnell wie ich. Gelernt ist gelernt. Als Nächstes die Feuchttücher: Ohne die gehst du als Papa nicht einen Meter aus dem Haus, die sind dein Rettungsanker bei Sturmflut. Die Packung ist allerdings nicht ohne und passt so eben in die Seitentasche meines heillos überforderten Sakkos. In der anderen Seitentasche ist das Babyphone, quasi das Smartphone der modernen Elterngeneration. Da gibt es mit anderen jungen Vätern immer was zu diskutieren:
    »Und, schon ein paar neue Apps runtergeladen?«
    »Ja, ganz cool, ne Schreistummschaltung.«
    »Wow, nicht schlecht. Ich habe mir jetzt das Geruchserkennungs-App geholt …«
    Ich scherze, aber damals war mir nicht nach Scherzen zumute. Unsere Ehe lotete täglich neue Tiefpunkte aus. Wie hätte es anders sein können, bei der Situation, in der wir uns befanden? Meine Frau alleingelassen mit all ihren Problemen und zwei entzückenden, aber anstrengenden Kindern in einer vogelkäfiggroßen Behausung. Ich bis zu den Achselhöhlen in Arbeit und im Dispo steckend, ohne Chance, wenigstens kurz beim Sport zu entspannen. Auftritte und Baustellenstress im lustig abwechselnden Ringelreihen vom morgendlichen Weckerklingeln bis zum abendlichen Umfallen und ohne einen einzigen Day off. In dem kläglichen Rest an Freizeit fieberhaft bemüht, ein potemkinsches Familienleben zu führen. Und immer mit dem quälenden Gefühl, bei allem einen Schritt zu spät, einen Tag im Verzug zu sein. Tief drinnen wusste ich, dass das nicht gutgehen konnte. Und es ging

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