Das Dach kommt spaeter
seien. Mein eh schon kompliziertes Leben wurde durch diesen Schwindel auf jeden Fall noch chaotischer. Jetzt musste ich nicht nur den Dispo über den Anschlag hinaustreiben, sondern obendrein zusehen, dass ich in der Kürze der Zeit noch einen passenden Fuerteventura-Trip gebucht bekam. Wenigstens hatte ich insofern Glück, als in der von mir vorgeschlagenen Ferienwoche zufälligerweise keine Auftritte gebucht waren. Sonst hätte ich eine neue Front eröffnen müssen, denn mein Management hätte mich sicher einen Kopf kürzer gemacht, wenn ich Shows mit der Begründung eines spontanen, aber bitternötigen Familienurlaubs abgesagt hätte.
Da ich weder Zeit hatte, im Internet nach bezahlbaren Reisen zu forschen, noch irgendwelche Kontakte in die Tourismusbranche pflegte, blieb mir nur ein einziger erfolgversprechender Weg: Ich rief Baba an.
»Junge, finde ich nicht richtig, wenn du jetzt Urlaub machst. Aber bist du erwachsener Mann. Hoffe ich!«
»Baba, bitte mach mir jetzt kein schlechtes Gewissen. Ich brauche diesen Urlaub unbedingt. Und zwar auf Fuerteventura. Nirgends sonst.«
»Verlangst du viel, oğlum. Aber hast du Glück. Schwester von Gerd hat Cousine, die hat Schwiegerschwager, der hat Spezialfirma für Fuerteventura.«
Wenn Gerds Schwiegerschwager – was immer das überhaupt sein sollte – dessen Arbeitsethos besaß, würde ich noch in zehn Jahren nicht in Fuerteventura sein. Aber ich hatte keine Wahl – und einen Tag später alle Reiseunterlagen in meinem E-Mail-Postfach. Manchmal muss man Risiken eingehen.
Nach allem, was der Bauentschluss mir bis dahin psychisch und physisch abverlangt hatte, versuchte ich, die Zufallsferienals von einem Schutzengel verschriebene medizinisch notwendige, ja therapeutische Maßnahme zu sehen, als letzte Rettung vor dem endgültigen Burn-out. Sozusagen: Last Exit Fuerteventura.
16. Kapitel
Ein verhängnisvolles Versäumnis
Nachdem ich mich entschieden hatte, den Urlaub nicht als Amüsement, sondern als unbedingt notwendige Kur zu begreifen, war mein Gewissen etwas befriedet. Das Einzige, womit ich mich schwer abfinden konnte, war, Kosewitz eine Woche lang ohne Überwachung zu lassen. Immerhin hatte ich durch meine regelmäßigen Kontrollgänge in letzter Sekunde schon grundfalsche Leitungslegungen oder Fensterdurchbrüche an völlig abwegigen Stellen verhindert. Andererseits hatte ich den Pannengaranten auch bis dahin nicht rund um die Uhr kontrollieren können. Dieses Argument beruhigte zwar mich nicht, beschwichtigte aber wenigstens unsere Eltern, die von der Aussicht einer acht Tage lang unbeobachteten Baustelle ebenfalls alles andere als angetan waren.
Als wir nach den endlosen vor dem Kuraufenthalt zu erledigenden Kleinigkeiten endlich im Flieger saßen, machte sich in meinem geschundenen Körper erstmals seit gefühlten Jahrhunderten die wohltuende, bleierne Schwere vollkommener Entspannung breit. Bevor ich jedoch in einen erquickenden Schlaf glitt, galt es, die Kleinen zu versorgen: hier ein Kissen aufschütteln, dort den Gurt einstellen, beim eitel stolzierenden Steward etwas zu trinken besorgen, die Becher umsturzsicher auf dem Klapptisch deponieren, dieunverschämt gutaussehende Stewardess um einem Strohhalm bitten, die beim Schreien der Kinder bösen Blicke mancher Mitreisenden elegant parieren: »Sieh mal, Levin, da drüben sitzt der berühmte Mann, der schon erwachsen zur Welt gekommen ist.« Das Gefühl der Entspannung relativierte sich schnell wieder. Das Beste aber war, dass sich Ann-Marie direkt nach dem Abheben an mich schmiegte. Während sie mir noch zärtlich ins Ohr flüsterte: »Du weißt gar nicht, wie lieb ich di…«, war sie schon eingeschlafen. Meine Hochzeitstagslüge war zwar schofelig gewesen, aber seitdem war unsere Ehe wieder harmonisch wie am ersten Tag. Manchmal heiligt der Zweck eben doch die Mittel.
Auf Fuerteventura empfing uns strahlender Sonnenschein. Während meine Frau sich ihrem üblichen Komaschlaf hingegeben hatte, war ich viereinhalb Flugstunden lang der Fußabtreter meines anspruchsvollen Nachwuchses gewesen. Trotzdem stellte sich beim Anblick der vertrauten Landschaft auch bei mir sofort Urlaubsstimmung ein. Die gleich wieder dahin war, als die Shakira ähnelnde Rezeptionistin beim Einchecken mit starkem spanischem Akzent fragte:
»Excuse me, Sir, is your name Topal or Topas?«
»Topal, as written in my passport. Why?«
»I have a fax message for Mister Topas, from Mista …« Sie machte eine Pause,
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