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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hielt sein Handgelenk fest. »Es ist gut«, sagte er
mit schwerer Zunge. Alles drehte sich um ihn. Er war benommen und hatte im ersten Moment weder eine Erinnerung, wo er
war, noch was geschehen sein mochte. In ihm war nur ein
Gefühl nie gekannter Schwäche … und eines schrecklichen
Verlustes.
    »Bist du wach?«, fragte Abu Dun misstrauisch.
»Ja«, antwortete Andrej. »Und ich würde es auch gerne noch
eine Weile bleiben. Also hör auf, auf mich einzuprügeln.« Seine
Zunge wollte ihm noch immer nicht richtig gehorchen, und auch
die Benommenheit wich nur ganz allmählich. Er fühlte sich, als
wäre er aus einem endlos langen Erschöpfungsschlaf erwacht,
    spürte aber auch, dass er nicht mehr als ein paar Augenblicke
bewusstlos gewesen war. Seine Glieder fühlten sich an, wie mit
Blei gefüllt, und auch da, wo seine Erinnerungen sein sollten,
war noch immer nichts anderes als ein bodenloser schwarzer
Abgrund. Und das Gefühl der Leere. Des Verlustes. Etwas …
war ihm genommen worden.
    »Was ist passiert?« Abu Dun legte die Hand unter sein Kinn
und zwang Andrej, ihn anzusehen. Er wollte diese Hand
wegschieben, aber seine Kraft reichte nicht einmal, um den Arm
zu heben.
    »Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen könntest«, nuschelte
er. »Wie … kommst du hierher?«
Einen Moment lang sah Abu Dun hilflos aus. Dann zuckte er
mit den Achseln. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört.« Dann
verbesserte er sich. »Gespürt.«
»Gespürt?«, fragte Andrej.
»Ich … hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand hier wäre«,
antwortete Abu Dun unbehaglich. »Jemand, der nicht hierher
gehört.«
Und da war er einfach hierher gekommen? Andrej blickte ihn
zweifelnd an, und Abu Dun hob plötzlich in einer abwehrenden
Bewegung die Hand vor das Gesicht. »He, beschwer dich
gefälligst nicht! Die beiden blonden Schönheiten wollten mir
gerade eine alte Sitte ihres Volkes erklären. Wenn ich nicht –«
»Urd«, murmelte Andrej, und erst, als er ihren Namen aussprach, kehrten die Erinnerungen zurück; zuerst die an ihr
feines, blasses Gesicht, und dann die an das, was passiert war.
Das Entsetzen war so groß, dass es ihn im ersten Moment
lähmte.
»Urd?«, wiederholte Abu Dun. »Was ist mit -?«
»Odin«, sagte Andrej. »Er war hier. Er hat sie mitgenommen.«
Abu Dun starrte ihn eine volle Sekunde lang an, ohne dass sich
in seinem Gesicht auch nur ein Muskel rührte. Dann nickte er
bedächtig. »Wann?«, fragte er ruhig.
»Vor …« Andrej versuchte mit aller Macht, sich zu erinnern,
gab dann aber auf. Er hob nur die Schultern.
»Und was genau hat er gewollt?«, fragte Abu Dun.
Andrej versuchte zu antworten, aber er konnte es nicht sofort.
Seine Erinnerung schien ihm nicht mehr gehorchen zu wollen.
Da war nur ein sonderbar vager Schmerz in ihm, den er nicht
wirklich greifen konnte, der aber zugleich auch so schrecklich
war, dass er schier unerträglich schien.
»Andrej?« Abu Duns Stimme klang besorgt.
»Ich …« Andrej schüttelte zwei-, dreimal den Kopf, um die
Benommenheit endgültig loszuwerden, und versuchte aufzustehen. Er war so schwach, dass es ihm nur mit Abu Duns Hilfe
gelang. Wie durch einen verschwommenen, rauschenden Nebel
hindurch registrierte er, dass sich der Nubier noch einmal bückte
und sein Schwert aufhob. Andrej erinnerte sich nicht einmal, es
gezogen zu haben. Eigentlich war er sogar sicher, es nicht getan
zu haben. Während er die Waffe entgegennahm (sie kam ihm
plötzlich so schwer vor, dass er sie am liebsten mit beiden
Händen gehalten hätte) und umständlich einsteckte, versuchte er
mit aller Gewalt, Ordnung in das Chaos hinter seiner Stirn zu
bringen. Alles ging durcheinander. Die Ereignisse schienen
nicht in der richtigen Reihenfolge in seinem Gedächtnis abgelegt zu sein. Das Einzige, woran er sich klar erinnerte, war Urds
totenbleiches Gesicht.
»Wieso sie?«, fragte Abu Dun.
»Weil er mich will«, hörte Andrej sich sagen. Immer noch
musste er die Worte erst aussprechen, um sich an die Geschehnisse zu erinnern. Was immer Odin mit ihm getan hatte – er
hatte ihm mehr genommen als nur einen Teil seiner Lebenskraft.
Einen halben Atemzug lang lauschte Andrej mit klopfendem
Herzen in sich hinein. Das Ungeheuer schwieg. Es war noch da,
aber so schwach wie er selbst und zu Tode verängstigt, keine
brüllende Bestie, die unentwegt an ihren Ketten zerrte und mit
harten Krallen an der Tür zu ihrem Verließ riss und scharrte,
sondern ein wimmerndes Etwas,

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