Das Daemonenschiff
diesem Benehmen halten
sollte, tat dann aber dasselbe wie der Nordmann: Er ließ sich
seinen Becher erneut randvoll gießen und folgte ihm.
Thure war neben dem Drachenkopf der Fenrir stehen geblieben. Das Schiff bildete – wenn auch flankiert von dem riesigen
Boot, das bisher Osrik gehört hatte und nun zu Thures neuem
Flaggschiff geworden war, und einem zweiten, nur unwesentlich
kleineren auf der anderen Seite – noch immer die Spitze der
nunmehr reglos daliegenden Flotte, sodass sie noch immer auf
das Meer hinaussehen konnten, nicht auf den Rumpf eines
anderen Bootes. Sein geschnitzter Drachenbug erinnerte Andrej
wieder an einen Wolfskopf, obwohl die Ähnlichkeit nicht auf
der Hand lag. Nicht im Entferntesten. Aber er wäre nicht
erstaunt gewesen, zu erfahren, dass es vielen anderen Männern
genauso erging wie ihm. Keiner von ihnen war freiwillig an
Bord gekommen, und keiner fühlte sich hier wohl. Dieses Schiff
war verflucht. Seit Abu Dun und er es betreten hatten, klebte das
Unglück wie Pech an ihm. Trotz der drückenden Enge, die an
Bord der Fenrir herrschte, waren sie gute fünf oder sechs
Schritte vom nächsten Krieger entfernt. Niemand kam diesem
Symbol dessen, was das vermeintliche Drachenboot in Wahrheit
war, näher als unbedingt nötig. Andrej nahm an, dass das der
einzige Grund war, aus dem Thure jetzt hierher gekommen war;
um allein mit ihm zu reden und vielleicht auch um ihm und
seinen Kriegern zu demonstrieren, wie wenig er sich von
Aberglauben einschüchtern ließ.
»Also?«, fragte er.
Thure antwortete, ohne den Blick vom schwarz daliegenden
Meer und dem glitzernden, sternenübersäten Himmel vor dem
Schiff zu lösen. Auch in diesem Punkt hatte sich Urds Vorhersage bewahrheitet. Der Wind war wieder aufgekommen und
hatte nicht nur den Nebel, sondern auch die Wolken vom
Himmel gefegt. Die Nacht war klar und sehr kalt. »Die Stimmung ist gar nicht einmal so schlecht. Wenn man bedenkt, was
wir gerade getan haben.«
»Eine Schlacht verloren?«, fragte Andrej.
Thure sah ihn nun doch an. Er wirkte verärgert. »Wir haben
das Nagelfahr besiegt, Andrej. Ihr habt es besiegt, Abu Dun und
du.«
Andrej presste kurz die Lippen aufeinander, um die Antwort
hinunterzuschlucken, die ihm auf der Zunge lag. Um den Preis,
dass all die Krieger in ihrer Begleitung sie jetzt noch mehr
fürchteten als ohnehin. »Besiegt?«, fragte er bitter. »Ganz so
würde ich es nicht bezeichnen.«
»Und wie nennst du es sonst?«, wollte Thure wissen. »Nie
zuvor hat ein Mensch eine Begegnung mit dem Nagelfahr
überlebt! Und ihr habt es geschlagen!«
»Wir haben es nicht geschlagen, Thure«, antwortete er leise.
»Wir haben ihm Schmerzen zugefügt, das ist alles. Wahrscheinlich haben wir es erst richtig wütend gemacht.«
Er konnte Thure ansehen, wie zornig ihn seine Worte machten,
doch der Nordmann beherrschte sich. Er antwortete erst,
nachdem er sich rasch und unauffällig umgesehen hatte, um
sicher zu sein, dass auch niemand sie hörte. Doch sie waren
allein. Die einzigen Laute, die an ihr Gehör drangen, waren das
gedämpfte Murmeln der Männer und das hektische Hämmern,
Sägen und Hantieren derer, die dabei waren, die schlimmsten
Schäden an Osriks Schiff zu beheben. Thure hatte entschieden,
das Boot nicht nur um jeden Preis wieder seetüchtig, sondern
auch zu seinem neuen Flaggschiff zu machen, wie eine trotzige
Herausforderung an alles, was immer dort draußen in der
Dunkelheit auf sie lauern mochte. »Das ist vielleicht sogar wahr.
Aber das wissen nur Abu Dun, du und ich. Und das ist auch gut
so. Was zählt, ist das, was die Männer gesehen haben. Solange
sie dieses Meer befahren, ist das Nagelfahr ihr größter Schrecken. Niemals hat ein Schiff seinen Angriff überstanden. Wir
haben ihn überstanden und wir haben es in die Flucht geschlagen.«
Vermutlich, dachte Andrej, wusste er genauso gut wie er
selbst, dass er Unsinn redete. Dennoch konnte er ihn verstehen.
Thures Reaktion war die einzig richtige, wollte er die Angst und
das Entsetzen, die nach dem Angriff des Nagelfahr von den
Männern Besitz ergriffen hatten, nicht zu ihrem größten Feind
werden lassen. Aber irgendetwas daran war falsch. Andrej
konnte nicht sagen was, aber er wusste es.
Doch er schwieg und fragte stattdessen: »Wie viele Schiffe
haben wir verloren?«
»Drei.«
»Das ist tatsächlich eine gute Bilanz«, sagte Andrej bitter.
»Wenn man bedenkt, dass wir unser Ziel noch nicht einmal
erreicht
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