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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hätten
sie uns längst angegriffen.«
Das entsprach nicht dem, was er wirklich dachte. Es entsprach
nicht einmal dem, was er fühlte, der nagenden, an Gewissheit
grenzenden Überzeugung, dass Thure Urd, Abu Dun, ihn und all
diese Männer geradewegs in eine Falle führte.
»Du hast gehört, was Thure gesagt hat«, sagte Urd. Andrej
hörte ein Rascheln, und als er den Kopf wandte, sah er, wie ihre
Hand unter dem Mantel hervorglitt und in seine Richtung
tastete, sich dann aber wieder zurückziehen wollte, als sie
begriff, dass sie zu weit von ihm entfernt saß. Rasch beugte er
sich zur Seite und ergriff – diesmal sehr behutsam – ihre Finger,
und Urd schenkte ihm ein flüchtiges, aber sehr warmes Lächeln.
»Wir marschieren in einer Stunde weiter. Warum kannst du
nicht einfach tun, was er vorgeschlagen hat, und dich ausruhen?
Oder kannst du nur noch an Krieg und Kampf denken?«
Noch vor einem Tag hätte ihn diese Frage empört und auch
jetzt ertappte er sich dabei, sie mit gespielter Empörung von sich
weisen zu wollen. Dann aber zuckte er mit den Achseln, so
halbherzig, wie er sich in diesem Moment fühlte. Was, dachte er
erschrocken, wenn Urd die Wahrheit sagte? Abu Dun und er
waren jetzt seit so vielen Jahren zusammen, reisten seit so
vielen, ungezählten Jahrzehnten durch die Welt, und wenn er
ganz ehrlich zu sich selbst war (was er bisher stets sorgsam
vermieden hatte), dann war es ganz genau so, wie sie gerade
gesagt hatte. Sie waren von einer Schlacht zur nächsten gezogen, von einem Krieg in den anderen, von einem Töten ins
nächste. Sie hatte recht. Vielleicht hatten Abu Dun und er
irgendwann während dieser Zeit verlernt, an etwas anderes zu
denken.
»War es damals auch so?«, fragte sie.
»Damals?«
»Als es jemanden in deinem Leben gab, den du geliebt hast,
Andrej.«
Jemanden? Andrej schwieg, während er versuchte, ernsthaft
über diese Frage nachzudenken. Sie tat weh, denn Urd hatte –
und er war nicht einmal sicher, ob es unabsichtlich geschehen
war – an eine Wunde gerührt, die immer noch nicht wirklich
verheilt war. Er versuchte, sich an Marias Gesicht zu erinnern,
an den Ausdruck in ihren Augen, die schon seit so langer Zeit
nur noch in seiner Erinnerung existierten, und konnte es nicht.
Er wusste nicht einmal, wann genau er angefangen hatte, ihr
Gesicht zu vergessen.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Urd. Sie klang
erschrocken.
»Nein«, antwortete Andrej leise. »Etwas Richtiges.«
»Dann solltest du vielleicht wieder anfangen, an andere Dinge
zu denken«, sagte Urd. »Wenn diese Frau wirklich so war, wie
ich glaube, hätte sie nicht gewollt, dass du so wirst.« Sie lächelte
milde, und ihre Finger schlossen sich fest um die Andrejs. »Ich
weiß, es ist der falsche Moment und sicherlich der falsche Ort,
aber wenn ich dir dabei helfen kann, dann tue ich es.«
Aber wie konnte sie das?, dachte Andrej. Sie wusste ja nicht
einmal, wer er wirklich war. Sie mochte das eine oder andere
ahnen und das eine oder andere befürchten, sie mochte sich für
stark genug halten, mit allem fertig zu werden, was sie in ihm
vermutete … aber er bezweifelte, dass sie es war. Niemand war es.
Selbst er fürchtete sich noch immer vor dem, was er wirklich war,
nach all diesen ungezählten Jahren. Und vielleicht, dachte er, so
entsetzlich ihm diese Vorstellung auch selbst erschien, vielleicht
war es gut, dass Maria niemals vor dieser Wahl gestanden hatte.
»Willst du es mir sagen?«, fragte Urd geradeheraus, fast als
hätte sie seine Gedanken gelesen. Vermutlich sprach sein
Gesicht in diesem Moment Bände.
»Nicht jetzt«, antwortete Andrej. Beinahe hätte er selbst über
seine Antwort gelacht. Zum wievielten Male beantwortete er
dieselbe Frage mit denselben Worten? Wie konnte er von ihr
erwarten, dass sie ihm verzieh, was er war, wenn er nicht einmal
selbst den Mut hatte, es sich einzugestehen?
Aber Urd überraschte ihn ein weiteres Mal. »Morgen«, sagte
sie. »Wenn das alles hier vorbei ist, dann wirst du mir die
Wahrheit sagen, Andrej Delãny. Bevor wir wieder an Bord der
Schiffe gehen.«
»Bevor wir sie verlassen«, verbesserte er sie.
»Weil du Angst hast, ich würde nicht mitkommen, wenn ich
weiß, was für ein finsteres Geheimnis in dir schlummert?«,
fragte Urd spöttisch und beantwortete ihre eigene Frage mit
einem heftigen Kopfschütteln und einem leisen, glockenhellen
Lachen. »Jetzt fang bloß nicht an, mit mir zu schachern. Du
nimmst dich zu

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