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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zur Verantwortung ziehen
würde, das in dieser Nacht sinnlos geopfert wurde.
Und wenn nicht Abu Dun, dann er.
Ein Stein löste sich aus der Dunkelheit über ihm, prallte von
seiner Ferse ab und verschwand in hohem Bogen in der Schwärze unter ihnen. Es war nicht der erste Brocken, der sich unter
den Schritten eines der Männer lockerte, aber diesmal dauerte es
nur einen Moment, bis er den gedämpften Aufprall hörte und
dann das leise Kollern, mit dem er über den hart gefrorenen
Boden rollte und schließlich zum Liegen kam. Sie waren nahezu
am Ziel. Andrej blieb stehen.
»Was ist los?«
Andrej drehte sich halb herum und spürte einen dünnen Stich
seines schlechten Gewissens, als er erst nach einem Moment
Urds Stimme erkannte; und das, obwohl er darauf bestanden
hatte, dass sie unmittelbar hinter ihm ging.
»Nichts«, sagte er hastig. Eilig ging er weiter und gewahrte
einen weiteren verschwommenen Schatten, der dicht und ohne
Vorwarnung hinter Urd erschien, so als hätte die Nacht ihn
ausgespien; der Pfad war zu schmal, als dass zwei Personen
nebeneinander darauf gehen oder die eine die andere gar noch
überholen konnte, und jeder Halt musste unweigerlich die
gesamte, sich mühsam vorwärtsschleppende Kolonne durcheinanderbringen. Die Männer waren längst in einen monotonen
Rhythmus verfallen, in dem sie einfach einen Fuß vor den
anderen setzten und dabei mit der linken Hand Halt an der
eisigen Wand neben sich suchten, und Andrej zweifelte nicht
daran, dass viele dies mehr schlafend als wach taten; ihm selbst
war es auf dem letzten Stück ja kaum anders ergangen. Jede
noch so kleine Unterbrechung dieses monotonen Rhythmus
mochte weiter oben zu einer Katastrophe führen.
»Wir sind gleich da«, fügte er leiser in einem Ton hinzu, von
dem er hoffte, dass er beruhigend klang.
Er ging schneller, soweit das auf dem abschüssigen und spiegelglatten Boden möglich war, schloss nach wenigen Schritten
zu dem vor ihm gehenden Krieger auf und fiel wieder in
denselben, schleppenden Takt, den sie die ganze Nacht über
beibehalten hatten. Wieder stürzte ein winziges Steinchen an
ihm vorbei in die Tiefe, und diesmal erfolgte der Aufprall hörbar
früher. Vielleicht noch ein Dutzend Schritte, schätzte Andrej,
allerhöchstens zwei – er hätte den Boden unter sich längst sehen
müssen, Dunkelheit hin oder her. Aber da war nichts als alles
verschlingende Schwärze. Was, flüsterte eine dünne, angstvolle
Stimme hinter seiner Stirn, wenn es keinen Boden gab? Wenn
sie geradewegs ins Nichts marschierten?
Andrej verscheuchte den Gedanken mit einiger Mühe, sah sich
noch einmal kurz und aufmerksam nach Urd um und versuchte
dann, die schattenhaften Gestalten unter sich zu erkennen. Eine
davon war Thure, der noch immer den Beleidigten spielte und
sein mehrmaliges Angebot, die Führung zu übernehmen,
beharrlich missachtet hatte. Andrej gefiel das nicht. Auch wenn
ihn seine scharfen Sinne das ein oder andere Mal plötzlich im
Stich zu lassen schienen, war er doch sicher, dass er jegliche
Gefahr, die dort unten auf sie lauern mochte, früher gespürt
hätte als Thure. Er hatte ihm seine Bedenken auch ohne Umschweife mitgeteilt, doch der Nordmann hatte trotzdem darauf
bestanden, die Spitze zu übernehmen; ein Akt von nicht nur
überflüssigem, sondern auch gefährlichem Stolz, mit dem er
ihm, Abu Dun und allen anderen wohl beweisen wollte, wie
sicher er war, dass ihre Feinde nicht in der Ebene auf sie
warteten. Andrej konnte das sogar verstehen, aber es gefiel ihm
trotzdem nicht.
Zugleich war er aber auch erleichtert gewesen, nicht die Spitze
übernehmen zu müssen. Es war eine Rolle, die er nur zu gut
kannte und die ihm niemals etwas ausgemacht hatte, aber heute
war nicht niemals, sondern ein besonderer Tag und ein besonderer Ort. Obwohl er sich, seit sie losmarschiert waren,
weitestgehend erholt hatte, und er spürte, wie seine Kräfte
Schritt für Schritt zurückkehrten, statt sich zu verbrauchen, wie
es bei all den Männern rings um ihn herum der Fall war, war er
zugleich doch noch weit davon entfernt, bereit für einen
weiteren Kampf sein; jedenfalls nicht gegen die Art von Feind,
die er erwartete. Abu Dun hatte weit mehr von seiner Kraft
genommen, als er angenommen hatte. Tatsächlich war Andrej
erst im Laufe dieser Nacht klar geworden, wie viel. Nur wenig
mehr, und es wäre zu viel gewesen.
Er hörte, wie sich der Rhythmus der Schritte unter ihm änderte, und zugleich glaubte er

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