Das Daemonenschiff
Ausdruck von Angst, den er seit Beginn dieses
Marsches in so vielen Gesichtern gelesen hatte, war immer noch
da, doch nun war noch etwas anderes hinzugekommen, was er in
nahezu jedem Augenpaar las. Diese Männer waren sicher, nicht
mehr nach Hause zurückzukehren. Jeder einzelne von ihnen
hatte mit seinem Leben abgeschlossen, und da waren nur zu
viele, die innerlich bereits aufgegeben hatten. Sicher, sie würden
kämpfen, und sich bis zum letzten Atemzug wehren, aber da war
ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Mann, der kämpfte,
um zu siegen oder wenigstens zu überleben, und einem, der
einfach nur Befehlen gehorchte und vielleicht insgeheim darauf
hoffte, einen schnellen und gnädigen Tod zu finden.
»Ich glaube, er kommt zu sich«, sagte Urd. Ihre Stimme riss
Andrej zwar aus seinen düsteren Gedanken, dennoch begriff er
im ersten Moment den Sinn ihrer Worte nicht. Dann deutete er
ein stummes Nicken an. Sie hatte sich um Abu Dun gekümmert,
so gut sie konnte (was praktisch bedeutete, dass sie nichts getan
hatte, außer seine fiebernde Stirn zu kühlen), und war zwischendurch nur ein einziges Mal aufgestanden, um sich um die
anderen Verletzten zu kümmern, aber schon nach wenigen
Augenblicken zurückgekehrt, um Andrej schockiert genau das
mitzuteilen, was er selbst schon längst gesehen und befürchtet
hatte: Es gab keine anderen Verletzten, abgesehen von einem
einzigen Mann, der gestürzt war und sich dabei das Handgelenk
gebrochen hatte. So unheimlich der Gedanke war, Sleipnirs
bloße Berührung schien den Tod zu bringen.
Vielleicht war es auch dieses Land. Vielleicht tötete sie der
bloße Umstand, dass sie hier waren.
Er lauschte einen Moment in Abu Dun hinein und schüttelte
dann den Kopf. »Noch nicht«, antwortete er mit etlicher
Verspätung auf Urds Worte. Sie sah ihn nur überrascht an und
runzelte zwar zweifelnd die Stirn, enthielt sich aber jeglichen
Kommentars, und auch Thure, der auf der anderen Seite des
Feuers saß und während der vergangenen halben Stunde nichts
anderes getan hatte, als in dumpfem Brüten vor sich hin zu
starren, blickte zweifelnd auf.
»Eigentlich dürfte er nicht einmal mehr leben. Gunjirs Berührung tötet jeden.«
»Gunjir?«
»Odins Schwert. Kein Mann auf dieser Welt überlebt seinen
Biss.«
Andrej lauschte einen Moment lang auf einen Unterton von
Vorwurf oder etwas anderem und vielleicht Schlimmerem in der
Stimme des Nordmannes, war aber (wieder einmal) nicht sicher,
ob er vielleicht nur etwas hörte, was er hören wollte. Thure gab
sich alle Mühe, optimistisch zu wirken und weiterhin das zu
sein, was seine Männer von ihm erwarteten, nämlich der
siegessichere Anführer, der trotz aller Rückschläge und Niederlagen wusste, worauf er sich eingelassen hatte, und auch, dass
sie diesen Kampf am Ende gewinnen würden. Aber es war nur
eine Rolle, und er spielte sie mit jedem Moment, der verging,
weniger überzeugend.
»Macht euch keine Sorgen«, sagte er. »Abu Dun ist zäh. Er hat
schon Schlimmeres überstanden.« Er musste nicht einmal in
Urds Gesicht sehen, um zu spüren, dass sie seine Worte für
herzlos und hart hielt. Zweifellos spürte auch sie, was in dem
Nubier vorging, aber ebenso zweifellos konnte sie mit all diesen
neuen Gefühlen und Empfindungen, die plötzlich auf sie
einstürmten, nicht umgehen; sie verwirrten sie nur noch mehr.
Und genauso zweifellos war er es gewesen, der sich die größten
Sorgen um Abu Dun gemacht hatte. Der Nubier, dem er
insgeheim und wider besseres Wissen, trotzdem aber mit
völliger Sicherheit immer unterstellt hatte, dass es nichts auf
dieser Welt gab, was ihm wirklich gefährlich werden konnte,
wäre fast gestorben. Andrej hatte den verzweifelten Kampf
gespürt, den sein Körper gegen eine unsichtbare Macht focht,
die ihn von innen heraus zu verzehren versuchte. Er hatte auch
gespürt, dass Abu Dun diesen Kampf letzten Endes gewinnen
würde, doch dieser Sieg war knapp gewesen, zu knapp.
»Ja, da hast du wohl recht«, murmelte Thure, und jetzt war
Andrej beinahe sicher, etwas in seiner Stimme zu hören, was
nicht darin sein sollte. Der Nordmann war keineswegs froh über
die Tatsache, dass Abu Dun lebte und sich auch wieder vollständig erholen würde. Aber Andrej sagte nichts, denn obwohl
er sich selbst dafür hasste, konnte er Thure auch verstehen. Abu
Dun war der Einzige von viel zu vielen Männern, der die
Berührung des Ungeheuers überlebt hatte. Wenn es unter ihren
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