Das Daemonenschiff
falsch halte.«
Auch darauf sagte Andrej nichts. Er hielt Thures Blick stand
(was ihm erstaunlicherweise sehr viel mehr Mühe bereitete, als
es sollte), und schließlich drehte sich der riesige Nordmann mit
einer zornigen Bewegung herum und eilte davon. Andrej sah
ihm einen Moment lang nach, bevor er sich in die entgegengesetzte Richtung wandte und die wenigen Dutzend Schritte bis
zum Waldrand ging. Thure wäre wohl höchst erstaunt gewesen,
hätte er in diesem Moment seine Gedanken lesen können, denn
Andrej hatte eine recht konkrete Vorstellung davon, wie Urd auf
sein Ansinnen reagieren würde, und zog es vor, ihr erst wieder
gegenüberzutreten, wenn ihr allerschlimmster Zorn verraucht
war. Nicht, dass das sehr viel ändern würde.
Er musste über sich selber lächeln, aber in diesem Lächeln war
eine winzige Spur von Bitterkeit. Allmählich begann er zu
begreifen, dass in dem, was Abu Dun vor zwei Tagen zu ihm
gesagt hatte, wohl mehr Wahrheit gewesen war, als er wahrhaben wollte. Er liebte Urd, ehrlich und mit einer Intensität, die
ihn selbst überrascht hatte, und schon die Vorstellung, sie allein
wegzuschicken, bereitete ihm körperliches Unbehagen, aber sie
war auch … nun, eben sie, und nicht Maria. Mit ihr zusammen
zu sein würde gewiss nicht einfach werden. Und doch war es
alles, was er wollte.
Andrej hatte den Waldrand erreicht und blieb stehen, als er
das, was Thure die Festung des falschen Gottes nannte, zum
ersten Mal von Nahem sah. Er wartete vergebens darauf,
irgendetwas zu spüren, etwas, das vielleicht groß und erhaben
war und ihn tatsächlich die Anwesenheit eines Gottes erleben
ließ. Der Anblick war beeindruckend, ein gigantischer, gezackter Schatten, der sich wie eine drohend erhobene Speerspitze
gegen den Himmel reckte und ihn aufzuschlitzen versuchte, aber
es war nichts Übernatürliches daran. Es war nur ein Berg,
finster, drohend und abweisend und so groß, dass er allein durch
seine Ausmaße einschüchternd wirkte; aber mehr auch nicht.
Selbst seine scharfen Augen sahen in der Dunkelheit nicht mehr
als einen gigantischen, flachen Schatten, und alles, was er
spürte, war Kälte. Der Odem des Fremden, Falschen war fort.
Nach einem Moment wandte er sich wieder um und ging zum
Lager zurück.
Auf halbem Wege hörte er das harte Geräusch von Schritten,
und wieder erschien ein – diesmal gequältes – Lächeln auf
seinem Gesicht, als ihm, noch bevor er sie sehen konnte, klar
wurde, dass es Urd war. Anscheinend hatte sich seine kleine,
feige Hoffnung nicht erfüllt, dass sich ihr erster Zorn über ihren
Bruder entladen würde.
Ganz im Gegenteil. Urd stürmte regelrecht auf ihn zu, und ihr
Gesichtsausdruck wirkte nicht nur verärgert, sondern so wütend,
dass das Lächeln auf Andrejs Lippen gefror.
»Andrej Delãny!«, fuhr sie ihn an, noch bevor er auch nur ein
einziges Wort herausbringen konnte. »Ich dachte, ich hätte mich
klar ausgedrückt. Niemand schreibt mir vor, was ich zu tun oder
zu lassen habe!«
»Niemand, außer mir«, antwortete Andrej. Er hob die Hand,
um sie zum Schweigen zu bringen, aber die Geste machte Urd
nur noch wütender. Andrej musste an Thures Worte denken und
war plötzlich froh, dass Urd wie sie alle dicke, lederne Handschuh trug, mit denen es ihr zumindest schwerfallen würde, ihm
die Augen auszukratzen. Hoffentlich war ihr kalt genug, damit
sie nicht auf die Idee kam, sie auszuziehen.
»Ich bin nicht so weit mit euch gekommen, um jetzt kehrtzumachen und euch den ganzen Spaß allein zu überlassen!«
»Wenn es Spaß wäre, dann würde ich dich mitnehmen«, sagte
Andrej ruhig. »Du gehst mit den Männern, Basta! Das ist ein
Befehl!«
Urd starrte ihn beinahe fassungslos an, dann gab sie einen Laut
von sich, der eine Mischung aus einem ungläubigen Schnauben
und einem Lachen zu sein schien. Sicher war er sich nicht. »Ein
Befehl, so?«, wiederholte sie gereizt. »Und was bringt dich auf
den Gedanken, dass du mir etwas befehlen könntest?«
»Vielleicht der Umstand, dass die Männer, die dich begleiten
werden, stark genug sind, um dich zu tragen«, antwortete
Andrej. »Und das werden sie müssen, wenn du keine Vernunft
annimmst, Urd.«
»Und wieso?«, erkundigte sich Urd misstrauisch.
»Weil ich dir sonst ein Bein breche oder auch beide.«
Ungläubig starrte Urd ihn an, aber der neuerliche Zornesausbruch, auf den er wartete, kam nicht. Etwas Neues erschien in
ihren Augen. »Das … das würdest du tun?«
»Lass es auf
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