Das Daemonenschiff
wie einen Mantel. Sein Blick fiel dabei auf seine rechte Hand,
und etwas an ihrem Anblick störte ihn. Doch gerade als er versuchte, den Gedanken zu fassen, entglitt er ihm wieder.
»Wo bin ich hier? Wie komme ich her, und wer bist du?«
»Das sind eine Menge Fragen für einen Mann, der sich eigentlich darüber freuen sollte, noch am Leben zu sein«, gab der Engel zurück. Gespielte Strenge erschien auf seinem schönen Gesicht. »Wolltest du dich umbringen, Andrej Delãny? Mein Bruder hat mir erzählt, dass du die ganze Strecke allein gerudert bist
und dich geweigert hast, dich auch nur ein einziges Mal ablösen
zu lassen. Ist es da, wo ihr herkommt, üblich, anderen zu beweisen, was für starke Männer ihr doch seid, indem ihr euch selbst
zu Tode schuftet?«
»Immerhin«, antwortete Andrej, dem es schwerfiel den Blick
vom Gesicht der jungen Frau zu lösen, »weiß ich jetzt, dass du
irgendjemandes Schwester bist. Aber wessen?«
Er war fest davon überzeugt, eine Antwort wie die meines
Bruders zu erhalten, aber sie schürzte nur kurz spöttisch die Lippen. »Thures.«
»Das ist bedauerlich«, antwortete Andrej.
Das Mädchen zog die Augenbrauen zusammen, lachte dann
aber. »Oh, keine Sorge. Er ist nicht eifersüchtig.«
»Das meine ich nicht.« Zum ersten Mal sah Andrej sich aufmerksam in dem Zimmer um, in dem er erwacht war. Es war
klein, von grauem Zwielicht erfüllt und bis auf das schmale
Bett, auf dessen Kante er saß, praktisch leer. Es gab einen dreibeinigen Schemel und einen hölzernen Eimer mit Deckel, über
dessen Verwendungszweck er lieber nicht nachdenken wollte.
»Ich hatte beinahe gehofft, ich wäre tot. Wenn Engel wirklich so
aussehen wie du, dann ist es gut, dass niemand davon weiß.«
»Wieso?«, erkundigte sich Thures Schwester.
»Weil die Menschen dann reihenweise Selbstmord begehen
würden«, antwortete Andrej ernst. »Zumindest die meisten Männer, die ich kenne.«
Das Mädchen lachte. »Ja, das passt zu dem, was ich über dich
gehört habe.«
»Und was wäre das?«, erkundigte sich Andrej. Plötzlich wusste er, was mit seiner Hand nicht stimmte. Der Verband war nicht
mehr da.
»Man hat mich vor dir gewarnt, Andrej Delãny«, antwortete
sie. »Man hat mir gesagt, dass ich deine Worte mit Vorsicht genießen soll, weil kein Weiberrock vor dir sicher sei.«
Andrej versuchte, ein unschuldiges Gesicht zu machen. Was
das Mädchen gerade über ihn behauptet hatte, traf wohl eher auf
Abu Dun zu … und der war es sicher auch gewesen, der ihr
diese Idee in den Kopf gesetzt hatte. »Du solltest vielleicht nicht
alles glauben, was man dir erzählt«, seufzte er. »Wie ist dein
Name?«
»Urd«, antwortete das Mädchen. Sie deutete hinter ihn. »In
dieser Kiste findest du saubere Kleider. Ich gehe und hol dir
etwas zu essen. Du musst hungrig sein. Und ich bringe dir
Wasser, damit du dich waschen kannst.«
»Das erwähnst du nun schon zum zweiten Mal«, antwortete
Andrej gespielt beleidigt. »Gibt es einen besonderen Grund
dafür?«
Urd lachte. »Sagen wir: Du riechst etwas streng. Aber vielleicht ist das ja da, wo ihr herkommt, so üblich.« Sie deutete
noch einmal auf die Kiste. »Wenn du dich beeilst, bin ich erst
zurück, wenn du dich angezogen hast.«
Damit ging sie. Andrej starrte die schwere, aus grob behauenen
Balken zusammengefügte Tür, die sich hinter ihr schloss, noch
einen Moment lang an, dann stand er auf und wandte sich der
schweren, mit eisernen Beschlägen versehenen Kiste zu, auf der
ein in graues Tuch eingeschlagener, länglicher Gegenstand lag.
Andrej wickelte ihn aus und erkannte erleichtert sein kostbares
Damaszenerschwert, samt der aus feinem Leder gearbeiteten und
mit kunstvollen Beschlägen versehenen Scheide und des Waffengurtes. Behutsam legte er die Waffe neben der Kiste zu Boden,
klappte diese auf und erwartete, seine eigenen, abgerissenen Kleider zu finden, die das Mädchen vielleicht gereinigt hatte.
Stattdessen jedoch fand er Hose, Hemd und Stiefel der gleichen
Art, wie sie auch Thure und seine Männer getragen hatten, und
dazu ein fein gewobenes Kettenhemd und einen langen, mit
weichem Fell gefütterten Umhang. Andrej widerstrebte es, diese
Kleider anzulegen, aber auf der anderen Seite trug er nichts als
seine eigene Haut am Leibe. Noch immer von einem unguten
Gefühl erfüllt, legte er dennoch entschieden und rasch die Kleider
– bis auf Kettenhemd und Umhang – an und war gerade in den
zweiten Stiefel geschlüpft (er passte perfekt, so
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