Das Daemonenschiff
als wäre er extra
für ihn angefertigt worden), als die Tür aufging und Urd zurückkam. Hinter ihrer schmalen Gestalt sah er helles Sonnenlicht, und
die Geräusche einer menschlichen Ansiedlung schlüpften mit ihr
ins Zimmer, aber als sie die Tür mit dem Fuß hinter sich zuschob,
war alles wieder grau und still. In beiden Händen trug sie ein großes, hölzernes Tablett, auf dem eine Wasserschale, ein Teller mit
Brot und kaltem Fleisch und einige sorgsam zusammengelegte,
saubere Tücher lagen. Das Wasser war heiß und dampfte.
»Du hast dich beeilt«, sagte sie. Irgendwie hatte Andrej das
Gefühl, sie lautlos hinzufügen zu hören: schade.
Er wollte ihr das Tablett abnehmen, doch Urd wies seine Hilfe
mit einem stummen Kopfschütteln zurück, setzte das Tablett geschickt auf den Schemel und machte eine einladende Geste,
während sie zurücktrat. Ihr Blick glitt unverhohlen prüfend über
seine Gestalt, blieb – vielleicht einen Moment länger, als nötig
gewesen wäre – an seinem Gesicht hängen und dann noch einmal für einen winzigen Augenblick zu lange auf seiner rechten
Hand. »Die Kleider stehen dir«, sagte sie. »Wäre dein schwarzes
Haar nicht, könnte man dich beinahe für einen von uns halten.«
Andrej blickte fragend, und sie fügte, jetzt wieder lächelnd, hinzu: »Du sprichst unsere Sprache ausgezeichnet, für jemanden
wie dich.«
Andrej nahm wieder auf der Bettkante Platz und griff nach
einem Stück Brot. Sein Magen knurrte laut. »Jemanden wie
mich?«
»Jemanden aus dem heißen Teil der Welt«, erklärte Urd.
»Dein schwarzgesichtiger Freund hat das eine oder andere erzählt.«
»Ja, das sieht Abu Dun ähnlich.« Andrej biss ein gewaltiges
Stück Brot ab und fuhr mit vollem Mund kauend fort, sodass
man ihn kaum verstehen konnte. »Das ist sein größter Fehler,
weißt du? Er redet zu viel. Du solltest ihm nicht alles glauben.«
Urd lachte. »Seltsam – genau dasselbe hat er über dich auch
gesagt.«
Andrej biss unbeeindruckt ein weiteres Stück ab. »Meine
Rede«, sagte er. »Glaub ihm nicht alles.«
Urds Gesichtsausdruck nach zu schließen, war in diesem
Moment wohl eher er es, dem sie nicht glaubte. Anscheinend
war es wieder einmal an der Zeit, sich unter vier Augen ernsthaft mit Abu Dun zu unterhalten.
Sie machte keine Anstalten zu gehen, sondern sah ihm mit
sichtlichem Vergnügen dabei zu, wie er das mitgebrachte Brot
und Fleisch bis auf den letzten Krümel verzehrte. Beides
schmeckte köstlich. Als er fertig war und sich genießerisch die
Finger leckte, sah sie ihn strafend an, und Andrej tat ihr den
Gefallen, die Hände in die Schale mit heißem Wasser zu tauchen
und anschließend sorgsam zu trocknen. Er argwöhnte, dass Urd
sich nur einen Spaß mit ihm machte, musste aber selbst eingestehen, dass er aus irgendeinem Grund Freude an diesem
kindischen Spielchen empfand.
»Wie geht es deinem Bruder?«, fragte er.
»Welchem von den acht?«, gab Urd zurück.
Andrej grinste. »Ja, Thure hat mir erzählt, dass euer Vater ein
fleißiger Mann war. Und wie viele Schwestern hast du noch?«
»Keine.« Urd warf so heftig den Kopf zurück, dass ihre blonden Locken flogen. Der Anblick gefiel ihm. »Mein Vater weiß,
was er seinem Volk schuldig ist. Außer mir hat er nur Krieger
gezeugt.«
Andrej war nicht ganz sicher, wie ernst diese Antwort gemeint
war. »Und wer wird die nächste Generation von Kriegern austragen, wenn deine Brüder alt sind?«, fragte er.
Urd lächelte ruhig. Dennoch hatte Andrej das Gefühl, eine
Frage gestellt zu haben, die ihm nicht zustand. Er warf ihr einen
raschen, um Verzeihung heischenden Blick zu und räusperte
sich unbehaglich, während er aufstand. Auch fragte er nicht
noch einmal nach Björn. Vielleicht war die Erinnerung an ihn zu
schmerzlich, als dass sie darüber reden wollte. »Würdest du
mich jetzt vielleicht zu deinem Bruder bringen?«, bat er. »Oder
vielleicht doch besser erst zu Abu Dun.«
Urd wandte sich zur Tür. »Das ist ohnehin derselbe Weg.
Eigentlich hat Thure mich auch zu dir geschickt, um dich zu holen. Mein Vater möchte mit deinem Freund und dir reden, aber
zuerst will Thure dich sehen.«
Sie verließen das Haus. Helles Sonnenlicht traf Andrej so
überraschend, dass er blinzeln musste und die Hand schützend
vor die Augen hob. Das graue Zwielicht, das drinnen im Haus
herrschte, hatte ihn erwarten lassen, auch hier draußen wieder
einen Himmel und eine Sonne vorzufinden, für die die Zeit
stehen geblieben war.
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