Das Dalai-Lama-Prinzip fuer Kollegen
erkennen, wie die Welt und wir selbst beschaffen sind. In einer überaus komplizierten Welt nehmen wir mit unseren Sinnen nur einen minimalen Ausschnitt der Wirklichkeit wahr. Und obwohl unser Gehirn überaus vielschichtig und facettenreich ist, kann es nur einen Bruchteil der Informationen verarbeiten, die wir aufnehmen.
Sie glauben das nicht? Denken Sie an optische Täuschungen, denken Sie daran, wie oft Ihr Gedächtnis Sie im Stich lässt. Denken Sie daran, wie schwer es ist, alle Auswirkungen einer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Selbst die offensichtlichen Erscheinungen nehmen wir nicht in der Gänze wahr. Die Kapazität unserer Sinne ist begrenzt; sie können nur eine bestimmte Menge an Informationen aufnehmen, und diese ist auf jeden Fall geringer als die Informationen, die die Welt bereithält. Unsere Unwissenheit und unsere Unfähigkeit, diese vom Verstand gesetzten Grenzen zu überwinden, haben zur Folge, dass wir nur sehr begrenzt Kontrolle über unser Leben haben. In vieler Hinsicht stochern wir alle im Nebel– das gilt für Einzelpersonen, Unternehmen, Staaten und die Menschheit im Allgemeinen. Egal, was wir tun, unsere Handlungen sind von einer Vielzahl unerwarteter und unbekannter äußerer Einflüsse abhängig.
Und das bedeutet: Glück, das durch äußere Einflüsse bedingt ist, ist nur relatives Glück. So angenehm diese Zustände auch sein mögen, wir können nicht auf sie bauen. Denn da sie sich wieder auflösen werden, ist letztendlich nur auf dauerhafte Werte wirklich Verlass. Das nennen Buddhisten das Leid der Bedingtheit. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass man bedingte Freuden auf jeden Fall meiden müsse. Es geht vielmehr um eine Veränderung der inneren Haltung gegenüber den vergänglichen Zuständen des relativen Glücks, indem man sich nicht an Äußerlichkeiten (Reichtum, Status, Ansehen, Ruhm… jeder kann hier die Begriffe einfügen, die ihm wichtig sind) bindet. Erfreuen Sie sich also ruhig an Ihrem schnellen Auto, Ihrer schönen Wohnung, am guten Essen, das Sie gerade genießen. Aber machen Sie Ihr persönliches Wohlergehen nicht davon abhängig. Wenn wir das tun, begehen wir nach der buddhistischen Lehre den Fehler der Anhaftung. Das heißt nun allerdings nicht, dass wir uns kasteien müssen oder Mönch werden sollen. Hier wird die buddhistische Lehre häufig missverstanden. Es ist nicht nötig, vom Extrem der Anhaftung in das andere Extrem der Entsagung zu wechseln. Wir können immer den Mittelweg wählen: das Leben genießen, ohne uns innerlich an das von äußeren Faktoren bedingte Glück zu binden.
✍ Stefan Rieß
Verschobene Wertmaßstäbe
Viele Menschen glauben, dass sie nur das wert sind, was sie verdienen. Neben Krankheit und Tod gibt es für sie nichts Schlimmeres, als keine Aufgabe und die damit verbundenen Erfolgserlebnisse zu haben. Auch ich war früher sehr abhängig von beruflichen Erfolgen, und das aus unterschiedlichen Gründen. Schon von Jugend an plagte mich große Existenz- und Zukunftsangst. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Auch wenn ich jetzt einen gut bezahlten Job habe, was wird morgen sein? Kann ich mir auch in Zukunft noch eine schöne Wohnung leisten? Meinen Kindern eine gute Ausbildung sichern? Mir ein neues Auto kaufen? Zudem war mein Selbstbewusstsein nicht so stark ausgeprägt, dass ich auf die Anerkennung anderer Menschen leicht verzichten konnte. Und welchen besseren Maßstab für Wertschätzung, so dachte ich, kann es geben, als wenn man auf der Karriereleiter aufrückt oder eine satte Gehaltserhöhung bekommt?
Inzwischen sehe ich das wesentlich differenzierter. Mir ist klar geworden, dass mein persönlicher Wert nicht davon abhängt, ob ich eine gehobene Position einnehme, tausend Euro im Monat mehr verdiene oder zu wichtigen Kongressen eingeladen werde. Heute weiß ich, dass dauerhaftes Glück und echte Zufriedenheit nicht von solchen äußeren Faktoren abhängen. Warum nicht? Weil diese Faktoren wiederum von Umständen abhängen, die man nicht beeinflussen kann und die sich morgen wieder ändern können.
In meinem Umfeld definieren sich zunehmend mehr Menschen über ihren Job als noch in früheren Jahren. Dabei zeigen nicht nur sogenannte Workaholics, die sich immer mehr Aufgaben aufbürden, regelrechtes Suchtverhalten, sondern auch viele ganz normale Arbeitnehmer: mehr Arbeit, mehr Einkommen, mehr Konsum, noch mehr Wünsche– und als Folge davon wiederum mehr Arbeit. Die Spirale dreht sich in einer Leistungs- und
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