Das Dalai-Lama-Prinzip für Paare: Wie achtsame Liebe gelingt
Laotse steht: »Stille ist die größte Offenbarung.«
Anne-Bärbel Köhle
Wenn ich nicht weiterweiß, muss ich alleine sein und mich bewegen. Deswegen bin ich schon als junge Frau viel in die Berge gegangen. Das dumpfe Dahinstapfen beruhigte mich immer, die Gedanken kamen zur Ruhe. Seit Jahren gehe ich mit Fergus in die Berge, im Sommer wie im Winter, mal mit Bergstiefeln, mal mit Fellen unter unseren Skiern. Dabei sprechen wir mal mehr, mal weniger miteinander. Wenn ein Pfad anstrengend wird, steigen wir ihn oft stundenlang stumm hinauf, ohne ein Wort miteinander zu reden. Und auch am Gipfelkreuz wird gelegentlich nicht viel gesagt. Es ist wie eine unausgesprochene Abmachung zwischen uns, dass in diesen Momenten Schweigen absolut in Ordnung ist, dass sich jetzt keiner offenbaren muss. Ich weiß also nicht, was Fergus bei seinen Bergwanderungen durch den Kopf geht (es sei denn, er hat seine neue Kamera dabei und versucht, mit ihr Bilder zuwege zu bringen, oder er fuchtelt mit einem elektronischen Kompass herum, den er noch nicht im Griff hat). Aber eines weiß ich sicher: Es gibt sonst keinen Menschen auf der Welt, mit dem ich so gerne schweige.
Nicht alles muss beredet werden
Manchmal gilt das übrigens auch für die Partnerschaft. Hierzulande sind wir nämlich überzeugt, es sei unerlässlich, sich beständig verbal mitzuteilen und sich alles mitteilen zu lassen. Bei partnerschaftlichen Problemen wird geraten, alles miteinander zu bereden. Aus lauter Kommunikationszwang geben wir mehr preis, als wir wollen, zerreden Gefühle und Gemeinsamkeiten. Und nach einer Stunde verbalem Schlagabtausch kommen Dinge auf den Tisch, die wir so nicht gemeint haben.
Manchmal lohnt es sich, einfach nichts zu sagen, Dinge für sich zu behalten, besonders dann, wenn die Kommunikation gerade schwierig ist. »Es gibt auf eine Frage, die keine echte, sondern nur eine rhetorische ist, die zu indirekt ist, zu intim, zu komplex oder auch zu instinktlos, weil sie den Befragten in Konflikte bringt, nur eine richtige Antwort: Schweigen«, rät Schmid-Bode. In Indien und Nepal ist es absolut üblich, dass Freunde einfach nur dasitzen und schweigen. Bei den Navajo-Indianern wird bei Verhandlungen manchmal ebenfalls so lange geschwiegen, bis alle Beteiligten das Gefühl haben, das Problem gründlich durchdacht zu haben. Für uns dagegen hängt dem Schweigen und der Stille ein schlechter Ruf an. Wenn in einer Runde geschwiegen wird, fühlt man sich beklommen. Liebende haben das dumpfe Gefühl, die Liebe sei erloschen, wenn sie nicht ständig in Worte gefasst wird.
Wieder an die Stille gewöhnen
Das Lex silentii, das Gesetz des Schweigens, ist in allen Ordensregeln enthalten, zu allen Zeiten und in allen Religionen, weil es das Nachdenken fördert. Akustische Berieselung dagegen lenkt ab, macht unkonzentriert. Das leuchtet jedem ein. Trotzdem fällt es vielen von uns schwer, auf Radio, Fernseher, iPod zu verzichten. Wir sind Stille nicht mehr gewöhnt.
Wer sich selbst und seinen Nächsten nahekommen möchte, sollte ab und zu die Stille regieren lassen, das Schweigen. Die Sprache des Schweigens ist die einzige, die nie lügt. Zusammen schweigen zu können ist ein sicheres Kennzeichen einer geglückten, reifen Beziehung. Höchste Zeit also, sich damit ein wenig zu beschäftigen. Hier einige Anregungen – sie lassen sich ganz einfach in den Alltag integrieren:
Verrichten Sie ungeliebte Arbeiten, zu denen Sie sich bislang nur mit Hintergrundmusik überwinden können, immer wieder einmal in aller Stille: Steuerbelege sortieren, bügeln, den Boden schrubben …
Versuchen Sie ab und zu in der Partnerschaft zu schweigen: Wenn Sie beispielsweise Ihren Partner gerade in einem sehr innigen Moment ansehen, berühren Sie ihn, aber sagen Sie nichts.
Suchen Sie sich stille Orte: ein Wald, wo Sie sich auf eine Bank setzen können, eine Kirche oder ein Plätzchen im Garten. Sitzen Sie dort einfach nur ab und zu und nehmen Sie die Stille in sich auf.
Durch Meditation zur Stille
In der östlichen Lehre kommt der inneren Einkehr eine wichtige Bedeutung zu. Meditation ist eine Form, sich von der Hektik der Außenwelt abzuschotten, in sein Inneres zu schauen, ganz bei sich zu sein. Eine Praxis übrigens, die bei Weitem nicht nur buddhistische Mönche ausüben, sondern die auch ins spirituelle Leben westlicher Menschen schon lange Eingang gefunden hat. Pater Anselm Grün von der Abtei Münsterschwarzach übt sich zum Beispiel schon seit vierzig Jahren
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