Das Dampfhaus
eines Kindes hinreichte, Jeden zermalmen, der gegen den Willen der Bewohner des Pals hinauszudringen versuchte.
Der Pal von Tandit. (S. 202.)
So isolirt die Gounds auch in ihren Bergnestern sitzen, so können sie einander doch leicht genug von Pal zu Pal mittheilen. Von den Höhen der
ungleichen Kämme der Sautpourraberge lassen sich die gewohnten Signale binnen wenigen Minuten über eine Strecke von zwanzig Meilen durch das Land verbreiten. Man pflegt dann auf dem Gipfel eines spitzen Felsens Feuer anzuzünden, gebraucht wohl gleich einen Baum als Riesenfackel oder läßt von einem Berge nur eine Rauchsäule aufsteigen. Die Bedeutung dieser Zeichen kennt Jedermann. Der Feind, das heißt eine Abtheilung königlicher Soldaten, ein Schwarm Agenten der englischen Polizei ist in das Thal eingedrungen, folgt dem Laufe der Nerbudda, durchsucht die Schluchten der Bergketten, vielleicht auf der Fährte eines Uebelthäters, dem das Land gern Schutz bietet. Der dem Ohre der Bergbewohner so gewohnte Kriegsruf verwandelt sich in ein Alarmzeichen. Ein Fremder würde ihn mit dem Heulen der Nachtvögel oder dem Pfeifen von Reptilien verwechseln. Der Gound kann sich dabei nicht täuschen; er ist auf der Hut, wenn das genügt, er flieht, wenn er fliehen muß. Die verdächtigen Pals stehen verlassen, oder werden selbst abgebrannt. Die Nomaden verkriechen sich in andere Verstecke, wenn man ihnen zu nahe auf den Fersen ist und an den mit Asche bedeckten Wohnplätzen finden die Agenten der Behörden nichts als Ruinen. In einem dieser Pals – dem Pal von Tandit – hatten Nana Sahib und die Seinigen ihr Unterkommen gewählt. Der, der Person des Nabab mit Leib und Seele ergebene Gound hatte sie hierher geführt, wo sie sich am 12. März dann häuslich einrichteten.
Die wandelnde Flamme. (S. 203.)
Sobald die beiden Brüder von dem Pal von Tandit Besitz genommen, war es ihre erste Sorge, die Umgebungen in Augenschein zu nehmen. Sie überzeugten sich, nach welcher Richtung und wie weit ihnen die Aussicht offen stand; erkundigten sich nach den nächstgelegenen Wohnungen und nach den Leuten, welche jene inne hatten. Sie durchforschten sorgfältig die Lage des isolirten Hügels, den der Pal von Tandit krönte, streiften durch das dichte Gebüsch ringsum und überzeugten sich schließlich, daß Niemand dahin gelangen könne, außer indem er dem Bette eines Sturzbaches, des Wazzur, nachging, in dem sie selbst herausgekommen waren.
Der Pal von Tandit bot also nach allen Seiten die gewünschte Sicherheit, vorzüglich, weil er auf einem Untergrunde stand, dessen geheime Ausgänge sich an der Seite eines Nebenberges öffneten und im schlimmsten Falle noch ein Entfliehen ermöglichten.
Nana Sahib und sein Bruder hätten ein besseres Versteck nicht finden können.
Balao Rao genügte es aber nicht, zu wissen, daß das der Pal von Tandit sei, er wollte auch von seiner Vergangenheit etwas hören, und fragte deshalb, während der Nabab das Innere der kleinen Festung besichtigte, den Gound weiter aus.
»Noch einige Fragen, begann er zu diesem. Seit wann steht der Pal verlassen?
– Seit einem Jahre, antwortete der Gound.
– Wer bewohnte ihn früher?
– Eine Nomadenfamilie, welche sich nur wenige Monate hier aufhielt.
– Warum haben die Leute ihn verlassen?
– Weil der Boden, der sie ernähren sollte, ihren Bedarf nicht lieferte.
– Und seit ihrem Abzug hat Deines Wissens Niemand hier Zuflucht gesucht?
– Niemand.
– In den Bereich des Pals hat noch kein Soldat der königlichen Armee, kein Polizeispion den Fuß gesetzt?
– Niemals.
– Kein Fremder hat ihn besucht?
– Keiner… erwiderte der Gound, höchstens eine Frau.
– Eine Frau? wiederholte lebhaft Balao Rao.
– Ja, eine Frau, die seit drei Jahren schon im Nerbuddathale umherirrt.
– Wer ist diese Frau?
– Wer sie ist, weiß ich nicht, erkärte der Gound, kann auch nicht sagen, woher sie kommt, und kein Mensch im Thale weiß überhaupt Näheres von ihr. Man hat nie erfahren können, ob sie eine Fremde oder ein Hinduweib ist!«
Balao Rao sann einen Augenblick nach; dann fuhr er fort:
»Was beginnt das Weib?
– Sie kommt und geht, erwiderte der Gound; sie lebt nur allein von Almosen. Man bringt ihr im ganzen Thale eine Art abergläubischer Verehrung entgegen. In meinem eigenen Pal habe ich sie wiederholt aufgenommen. Sie spricht niemals. Man könnte sie für stumm halten, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie das wirklich wäre. Während
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