Das Darwin-Virus
Eine unbekannte Stimme versuchte, eine echte Abneigung gegen aufgezeichnete Nachrichten zu überwinden, und sagte nach mehreren ungeschickten Versuchen schließlich, sie hätten gemeinsame Bekannte – um zwei oder drei Ecken – und möglicherweise auch gemeinsame Interessen.
»Mein Name ist Mitch Rafelson. Ich bin zurzeit in Seattle, aber ich will bald an die Ostküste fliegen und mich mit mehreren Leuten treffen. Wenn Sie sich für … frühere Vorfälle mit SHEVA interessieren, für Beispiele aus sehr alter Zeit, nehmen Sie bitte mit mir Kontakt auf.«
Dicken schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Unglaublich.
Es war, als wüssten alle über seine abwegige Hypothese Bescheid.
Er notierte sich die Telefonnummer auf einem kleinen Block und starrte sie spöttisch an. Der Name des Mannes kam ihm bekannt vor. Er hielt ihn noch einmal auf dem Notizblock fest.
Dann kurbelte er das Fenster herunter und sog tief die frische Luft ein. Es wurde immer wärmer, und die Wolken über Bethesda lösten sich auf. Der Winter würde bald vorüber sein.
Gegen besseres Wissen, gegen jede Vernunft, tippte er Kaye Langs Nummer ein. Sie war nicht zu Hause.
»Ich hoffe, du kannst gut mit den großen Mädchen tanzen«, murmelte Dicken für sich und ließ das Auto an. »Und Cross ist nun wirklich ein sehr großes Mädchen.«
40
Baltimore
Der Anwalt hieß Charles Wothering. Er sprach reines BostonEnglisch, war mit zerknitterter Eleganz gekleidet und trug eine grob gestrickte Wollmütze sowie einen langen, dunkelroten Schal.
Kaye bot ihm Kaffee an, den er auch nahm.
»Sehr hübsch«, meinte er und sah sich in der Wohnung um. »Sie haben Geschmack.«
»Marge hat es mir eingerichtet«, erwiderte Kaye.
Wothering lächelte. »Marge hat innenarchitektonisch überhaupt keinen Geschmack. Aber Geld wirkt manchmal Wunder, finden Sie nicht?«
»Keine Ausflüchte«, sagte Kaye freundlich. »Warum hat sie Sie hergeschickt? Um … unsere Vereinbarungen zu ergänzen?«
»Keineswegs«, sagte Wothering. »Ihre Eltern sind doch tot, oder?«
»Ja.«
»Ich bin nur ein mittelmäßiger Anwalt, Ms. Lang – darf ich Kaye sagen?«
Kaye nickte.
»Mittelmäßig, was das Juristische angeht, aber Marge schätzt mich wegen meiner Menschenkenntnis. Ob Sie es glauben oder nicht: Marge kann Menschen nicht gut einschätzen. Viel Kraftmeierei, aber mehrere gescheiterte Ehen – ich habe vor langer Zeit mitgeholfen, das auseinander zu dröseln und so zu erledigen, dass sie nie wieder etwas davon zu hören bekam. Sie ist der Ansicht, Sie könnten meine Hilfe brauchen.«
»Wieso?«, fragte Kaye.
Wothering setzte sich auf das Sofa und nahm drei Löffel Zucker aus der Schale auf dem Serviertablett. Sorgfältig rührte er um.
»Haben Sie Saul Madsen geliebt?«
»Ja.«
»Und wie fühlen Sie sich jetzt?«
Kaye dachte darüber nach, wich dabei aber Wotherings stetigem Blick nicht aus. »Jetzt ist mir klar, wie viel Saul mir verheimlicht hat, nur damit wir unseren gemeinsamen Traum weiterträumen können.«
»Wie viel hat Saul geistig zu Ihrer Arbeit beigetragen?«
»Kommt darauf an, welche Arbeit Sie meinen.«
»Ihre Arbeiten mit den endogenen Retroviren.«
»Nur wenig. Das war nicht sein Spezialgebiet.«
»Was war denn sein Spezialgebiet?«
»Er hat sich gern mit der Hefe verglichen.«
»Wie bitte?«
»Er hat das Ferment beigesteuert. Von mir stammte der Zucker.«
Wothering lachte. »Hat er Sie angeregt, intellektuell meine ich?«
»Er hat mich herausgefordert.«
»Wie ein Lehrer, wie ein Vater oder … wie ein Partner?«
»Wie ein Partner«, erwiderte Kaye. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Mr. Wothering.«
»Sie haben sich mit Marge verbündet, weil Sie sich nicht befähigt fühlten, allein mit Augustine und seinen Leuten zurecht zu kommen, stimmt’s?«
Kaye starrte ihn an.
Wothering hob eine seiner buschigen Augenbrauen.
»Nicht ganz«, erwiderte sie. Ihre Augen brannten, weil sie nicht zwinkerte. Wothering blinzelte um so häufiger und setzte die Kaffeetasse ab.
»Ich will es kurz machen. Marge hat mich hergeschickt, damit ich Sie auf jede nur erdenkliche Weise von Saul Madsen löse. Ich brauche Ihre Genehmigung, um EcoBacter, AKS und Ihre Verträge mit der Taskforce gründlich zu durchleuchten.«
»Ist das nötig? Ich habe jetzt sicher keine Leichen mehr im Keller, Mr. Wothering.«
»Wir können nicht vorsichtig genug sein, Kaye. Sie wissen doch, dass die ganze Sache sehr ernst wird. Jede Peinlichkeit kann schwere
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