Das Darwin-Virus
Assistentin, die man ihr gerade zugeteilt hatte. Tighe, ein paar Jahre jünger als Kaye, hatte zurückgekämmte blonde Haare, ein angenehmes, breites Gesicht, leuchtend blaue Augen und breite Hüften, die ihre Mitfahrer unter den beengten Verhältnissen auf eine harte Probe stellten.
»Noch vier Stunden, bis Sie mit Mark Augustine zusammentreffen«, bemerkte Tighe.
Kaye nickte. In Gedanken war sie ganz woanders.
»Sie haben um ein Treffen mit zwei bei den NIH einquartierten Müttern gebeten. Ich weiß nicht genau, ob wir diesen Termin heute noch unterbringen können.«
»Bringen Sie ihn unter«, sagte Kaye mit Nachdruck. »Bitte!«
Tighe sah sie ernst an.
»Bringen Sie mich zuallererst zur Klinik.«
»Wir haben noch zwei Fernsehinterviews …«
»Sagen Sie ab«, entgegnete Kaye. »Ich will mich mit Mrs. Hamilton unterhalten.«
Durch die langen Korridore ging Kaye vom Parkplatz zu den Aufzügen des Gebäudes Nummer 10.
Auf der Fahrt vom Flughafen zum NIH Gelände hatte Tighe sie über die Ereignisse des vergangenen Tages unterrichtet. Richard Bragg war beim Verlassen seines Hauses in Berkeley sieben Mal in Rumpf und Kopf geschossen worden und noch am Tatort gestorben. Man hatte zwei Verdächtige festgenommen, beide männlich, beide Ehepartner von Frauen, die mit HerodesBabys im ersten Stadium schwanger waren. Man hatte die Männer ein paar Häuserblocks entfernt aufgegriffen. Sie waren betrunken, und in ihrem Auto hatten sich die leeren Bierdosen gehäuft.
Daraufhin hatte sich auf Anordnung des Präsidenten der Secret Service eingeschaltet, um wichtige Mitglieder der Taskforce zu schützen.
Die Mutter des ersten in Nordamerika geborenen Säuglings im zweiten Stadium – sie war als Mrs. C. bekannt – befand sich immer noch in einem Krankenhaus in Mexico City. Sie war aus Litauen nach Mexiko ausgewandert; zwischen 1990 und hatte sie bei einem Unterstützungsfonds für Aserbaidschan gearbeitet. Derzeit stand sie unter Schock; erste medizinische Berichte sprachen von einem akuten Schuppenekzem im Gesicht.
Das tote Kind war von Mexico City nach Atlanta geschickt worden; es sollte morgen früh eintreffen.
Luella Hamilton hatte gerade ein leichtes Mittagessen eingenommen. Sie saß auf einem Sessel am Fenster, das auf einen kleinen Garten und die fensterlose Ecke eines anderen Gebäudes hinausging.
Das Zimmer teilte sie mit einer anderen Mutter, die sich gerade ein Stück den Flur entlang in einem Untersuchungszimmer befand. Insgesamt nahmen jetzt acht Mütter an der Studie der Taskforce teil.
Als Kaye hereinkam, sagte Mrs. Hamilton: »Ich habe mein Kind verloren«. Kaye ging um das Bett herum und nahm sie in den Arm. Mrs. Hamilton erwiderte die Umarmung herzlich und mit einem kleinen Stöhnen.
Tighe war mit verschränkten Armen neben der Tür stehen geblieben.
»Sie ist nachts auf einmal rausgerutscht.« Mrs. Hamilton hielt den Blick unverwandt auf Kaye gerichtet. »Ich habe es kaum gemerkt. Meine Beine waren nass, und da war nur ganz wenig Blut.
Sie hatten einen Monitor auf meinem Bauch angebracht, und auf einmal fing der an zu piepsen. Ich bin aufgewacht, und plötzlich waren die Schwestern da und haben ein Sauerstoffzelt aufgebaut.
Sie haben es mir nicht gezeigt. Eine Geistliche kam, Reverend Acherley von meiner Kirche, sie war gleich für mich da, das war doch nett von ihr, finden Sie nicht?«
»Es tut mir sehr Leid«, sagte Kaye.
»Die Geistliche hat mir von einer anderen Frau in Mexico City erzählt, von dem zweiten Baby …«
Kaye schüttelte mitfühlend den Kopf.
»Kaye, ich habe solche Angst!«
»Es tut mir Leid, dass ich nicht hier sein konnte. Ich war in San Diego und hatte keine Ahnung, dass Sie es abgestoßen haben.«
»Na ja, schließlich sind Sie ja nicht meine Ärztin, stimmt’s?«
»Ich habe viel an Sie gedacht. Auch an die anderen«, sagte Kaye, »aber vor allem an Sie.«
»Jaja, ich bin eine starke schwarze Frau, und wir machen Eindruck.« Mrs. Hamilton lächelte nicht, als sie das sagte. Ihre Miene war verzerrt, und die Hautfarbe erinnerte fast an eine Olive. »Ich habe am Telefon mit meinem Mann gesprochen. Er kommt heute, und wir dürfen uns sehen, aber nur durch eine Glasscheibe. Sie haben mir versprochen, wenn das Baby geboren ist, lassen sie mich gehen. Aber jetzt sagen sie, dass sie mich hier behalten wollen. Sie sagen, ich würde wieder schwanger werden. Sie wissen, dass es so kommt. Mein eigenes kleines Jesuskind. Was soll die Welt mit Millionen von kleinen
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