Das Darwin-Virus
Virusjäger erschien ihm ehrlich und scharfsinnig. Mitch hätte gerne mit ihm zusammengearbeitet und ihn besser kennen gelernt, aber das konnte er sich überhaupt nicht vorstellen. Man mochte es Instinkt nennen, aber eher war es eine auf die Zukunft gerichtete Erinnerung an …
… Rivalität.
Er setzte sich auf eine niedrige Betonmauer gegenüber dem SerranoHotel und hielt seine Aktentasche mit beiden Pranken fest.
Er versuchte, sich jene Geduld zu eigen zu machen, mit der er auch die langen, umständlichen Grabungen in der Gesellschaft unzufriedener Postdocs überstanden hatte.
Plötzlich sah er eine Frau im blauen Kostüm aus der Lobby des Serrano kommen. Sie blieb im Schatten kurz stehen und sprach mit den beiden Türstehern und einem Polizisten. Es war Kaye.
Mitch ging langsam über die Straße und ging um einen Toyota mit eingeschlagenen Scheiben herum. Kaye sah ihn und winkte.
Sie trafen sich auf dem freien Platz vor dem Hotel. Kaye hatte Ringe unter den Augen.
»Das war ja schrecklich«, sagte sie.
»Ich war hier draußen und habe alles gesehen«, erwiderte Mitch.
»Wir schalten jetzt einen Gang rauf. Ich mache ein paar Fernsehinterviews, und dann fliegen wir wieder nach Washington. Es muss eine Untersuchung geben.«
»Und alles nur wegen dieses ersten Babys?«
Kaye nickte. »Vor einer Stunde haben wir Näheres erfahren. Die NIH haben eine Frau überwacht, die sich vor einem Jahr die Herodes-Grippe zugezogen hatte. Sie bekam die Fehlgeburt mit der Zwischentochter, und einen Monat später war sie wieder schwanger. Das Baby brachte sie einen Monat zu früh zur Welt, und es ist tot. Schwere Fehlbildungen. Anscheinend Zyklozephalie.«
»Du liebe Güte«, sagte Mitch.
»Augustine und Cross … nun ja, darüber darf ich nicht reden.
Aber es sieht so aus, als müssten wir alle Planungen umschmeißen und vielleicht sogar für die Erprobung am Menschen einen verkürzten Zeitplan aufstellen. Der Kongress schreit Zeter und Mordio und zeigt mit dem Finger auf alle und jeden. Es ist ein riesiger Schlamassel.«
»Klar. Was können wir tun?«
»Wir?« Kaye schüttelte den Kopf. »Was wir im Zoo besprochen haben, erscheint jetzt nicht mehr besonders sinnvoll.«
»Warum nicht?«, fragte Mitch und schluckte.
»Dicken hat eine Kehrtwendung gemacht.«
»Was für eine Kehrtwendung?«
»Er ist völlig fertig und glaubt, wir lägen ganz und gar daneben.«
Mitch legte den Kopf auf die Seite und runzelte die Stirn. »Das sehe ich nicht so.«
»Vielleicht geht es dabei mehr um Politik als um Wissenschaft.«
»Aber wo bleibt dann die Wissenschaft?«, wandte Mitch ein.
»Soll eine einzige Frühgeburt, ein einziges fehlgebildetes Baby …«
»… uns mundtot machen?«, vollendete Kaye seinen Satz. »Vermutlich schon. Ich weiß es nicht.« Sie ließ den Blick über die Straße schweifen.
»Gehen noch andere Schwangerschaften dem Ende entgegen?«, wollte Mitch wissen.
»Erst in ein paar Monaten«, erwiderte Kaye. »Die meisten Eltern haben sich zur Abtreibung entschlossen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Es wird nicht viel darüber geredet. Die beteiligten Institutionen nennen keine Namen. Sie können sich ja sicher vorstellen, dass es viele Gegner auf den Plan rufen würde.«
»Was halten Sie davon?«
Kaye legte sich die Hand auf das Herz und dann auf die Magengegend. »Ich fühle mich, als hätte mir jemand einen Tiefschlag versetzt. Ich brauche Zeit, um über alles nachzudenken und noch ein paar Untersuchungen anzustellen. Übrigens habe ich Dicken gefragt, aber er hat mir Ihre Telefonnummer nicht gegeben.«
Mitch lächelte viel sagend.
»Was ist?«, fragte Kaye ein wenig irritiert.
»Nichts.«
»Hier ist meine Nummer in Baltimore«, sagte sie und gab ihm eine Visitenkarte. »Rufen Sie mich in ein paar Tagen an.«
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft.
Dann drehte sie sich um und ging wieder ins Hotel. Über die Schulter rief sie ihm zu: »Ich meine, was ich sage. Rufen Sie an!«
45
National Institutes of Health, Bethesda
Kaye wurde in einem unauffälligen braunen Pontiac ohne Behördennummernschilder aus dem Flughafen von Baltimore geschleust. Sie hatte drei Stunden in Fernsehstudios und sechs Stunden im Flugzeug hinter sich; ihre Haut fühlte sich an wie glasiert.
Zwei Mitarbeiter des Secret Service saßen höflich schweigend mit im Wagen, der eine auf dem Vordersitz, der andere neben ihr auf der Rückbank. Zwischen Kaye und dem Geheimdienstmann saß Farrah Tighe, die
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