Das Darwin-Virus
Drehstuhl heran und nahm Platz. Er sah wie ein enttäuschter kleiner Junge aus.
»Fertig wegen Mrs. C.?«, wollte Salter wissen. Mit der Ecke eines Aktendeckels schob sie eine braune Haarsträhne zurück. Die Strähne fiel wieder nach vorn, aber jetzt achtete sie nicht mehr darauf.
»Vermutlich«, sagte Dicken.
Salter bückte sich, setzte den Aktenkoffer ab und trat dann vor, um die Papiere auf seinen Tisch zu legen. »Tom Scarry hat das Baby jetzt«, sagte sie. »Es wurde in Mexico City obduziert. Ich nehme an, die haben gründliche Arbeit geleistet. Er macht alles noch einmal, nur um sicher zu gehen.«
»Haben Sie es gesehen?«
»Nur eine Videoaufnahme von dem Augenblick, als sie es im Gebäude 15 aus der Eisbox genommen haben.«
»Ein Monster?«
»Aber hallo«, sagte Salter, »ein richtiges Ungetüm.«
»Wem die Stunde schlägt«, erwiderte Dicken.
»Mir war eigentlich nie klar, wie Sie zu der ganzen Sache stehen, Christopher«, erklärte Salter und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Es scheint, als wären Sie überrascht, dass es eine so heimtückische Krankheit ist. Dabei wussten wir das doch von Anfang an, oder?«
Dicken schüttelte den Kopf. »Ich bin schon so lange hinter Krankheiten her … Diesmal ist es anscheinend anders.«
»Wie? Mitleid erregender?«
»Jane, ich war gestern Abend betrunken. Ich bin zu Hause gestürzt und habe mir die Schulter angeknackst. Ich fühle mich grässlich.«
»Ein Besäufnis? Das klingt eher nach Liebeskummer und nicht nach einer Fehldiagnose.«
Dicken verzog das Gesicht. »Was wollen Sie mit den ganzen Sachen?«, fragte er und deutete mit dem linken Zeigefinger auf die Akten.
»Ich bringe Material rüber zum neuen Annahmelabor. Sie haben noch vier Seziertische bekommen. Wir stellen Personal und Verfahrensvorschriften zusammen, damit wir rund um die Uhr unter L3-Bedingungen obduzieren können. Verantwortlich ist Dr. Sharp. Ich assistiere der Gruppe, die Nerven- und EpithelUntersuchungen macht. Unter anderem halte ich ihre Aufzeichnungen auf dem neuesten Stand.«
»Könnten Sie mich unterrichten, wenn Sie etwas Besonderes finden?«
»Ich weiß ja nicht einmal, warum Sie eigentlich hier sind, Christopher. Als Sie mit Augustine weggegangen sind, haben Sie hoch über uns geschwebt.«
»Mir fehlt die vorderste Front. Die Stelle, an der neue Nachrichten zuerst eintreffen.« Er seufzte. »Ich bin immer noch hinter Viren her, Jane. Jetzt bin ich zurückgekommen, um ein paar alte Artikel durchzusehen. Vielleicht ist mir ja etwas Entscheidendes entgangen.«
Jane lächelte. »Na ja, heute Morgen habe ich gehört, Mrs. C.
hätte Genitalherpes gehabt. Irgendwie ist er schon in einem frühen Entwicklungsstadium auf das Baby C. übergegangen. Es war von Hautschäden übersät.«
Dicken blickte überrascht auf. »Herpes? Das hat bisher noch niemand berichtet.«
»Ich habe ja gesagt, es war ein Ungetüm«, erwiderte Jane. Herpes – das veränderte möglicherweise die Deutung des gesamten Vorganges. Wie konnte das Kind sich den Genitalherpes zuziehen, während es geschützt im Mutterleib lag? Normalerweise wurde die Krankheit über den Geburtskanal von der Mutter auf das Kind übertragen.
Dicken war ernsthaft beunruhigt.
Dr. Denby kam am Büro vorüber, lächelte kurz, machte dann kehrt und schaute durch die offene Tür herein. Er war Spezialist für Bakterienwachstum, ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit dem Gesicht eines Engels, elegantem, pflaumenblauem Hemd und roter Krawatte. »Jane? Weißt du schon, dass sie die Cafeteria von außen blockiert haben? Hallo, Christopher.«
»Ich habe es gehört. Beeindruckend«, erwiderte Jane. »Jetzt haben sie etwas anderes vor. Sehen wir es uns an?«
»Nicht wenn es mit Gewalt zu tun hat«, sagte Salter mit einem Schaudern.
»Das ist ja gerade das Gruselige. Es ist friedlich und völlig still!
Wie eine Tanzgruppe ohne Kapelle.«
Dicken kam mit. Sie nahmen den Aufzug und die Treppe zur Vorderseite des Gebäudes. Gemeinsam mit anderen Angestellten und Ärzten gingen sie in die Eingangshalle, in der Schautafeln zur Geschichte der CDC aufgestellt waren. Draußen bewegte sich die Menge in strikter Ordnung. Die Anführer riefen Anweisungen durch Megafone.
Die Hände in die Hüften gestemmt, betrachtete ein Sicherheitsbeamter die Menge durch das Fenster. »Sehen Sie sich das an«, sagte er.
»Was?«, fragte Jane.
»Sie teilen sich, Männlein und Weiblein. Spalten sich auf«, sagte er mit verwirrten Blick.
Die Spruchbänder
Weitere Kostenlose Bücher