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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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alles, was wir unten auf der Tagung besprochen haben.
    Wann werden die Leute endlich lernen, mal in Ruhe zuzuhören?
    Funktioniert das Telefon nicht?«
    Kaye fragte sich, ob Mitch wohl in die Krawalle geraten war und ob es ihm gut ging.
    Mark Augustine kam ins Zimmer. Langsam wurde es eng. Die Luft war stickig und warm. Augustine nickte in Dickens Richtung und lächelte Kaye freundlich zu. Er wirkte ruhig und konzentriert, aber irgendetwas in seinem Blick strafte die Fassade Lügen.
    »Sehr gut!«, dröhnte Cross. »Dann haben wir die Bande ja zusammen. Mark, was ist los?«
    »Richard Bragg ist vor zwei Stunden in Berkeley erschossen worden«, sagte Augustine. »Er war mit seinem Hund spazieren.«
    Augustine legte den Kopf schief, presste die Lippen zusammen und warf Kaye einen gequälten Blick zu.
    »Bragg?«, fragte jemand.
    »Der Idiot mit dem Patent«, erwiderte ein anderer.
    Cross erhob sich vom Bett und wandte sich an Augustine. »Hat es etwas mit der Nachricht über das Baby zu tun?«
    »Das könnte man annehmen. Irgendjemand in dem Krankenhaus in Mexico City hat es ausgeplaudert. La Prensa berichtet, das Baby sei schwer missgebildet gewesen. Heute Morgen um sechs kam es auf allen Kanälen.«
    Kaye wandte sich zu Dicken. »Tot geboren«, sagte er.
    Augustine zeigte zum Fenster. »Das wäre eine Erklärung für den Aufruhr. Es sollte eigentlich eine friedliche Demonstration werden.«
    »Dann also los«, sagte Cross aufgeräumt. »Es gibt eine Menge zu tun.«
    Als sie zum Aufzug gingen, sah Dicken niedergeschlagen aus.
    Halblaut sagte er zu Kaye: »Den Zoo vergessen wir besser.«
    »Unsere Unterhaltung?«
    »Es war voreilig. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, wo man sich aus dem Fenster hängen sollte.«

    Mitch ging die trümmerübersäte Straße entlang. Unter seinen Stiefelsohlen knirschten Glasscherben. Die gelben Markierungsbänder von Polizeiabsperrungen zogen sich um die Haupteingänge des Kongresszentrums und dreier Hotels. Umgekippte Autos waren wie Geschenke mit gelben Bändern umwickelt. Auf Fahrbahn und Bürgersteigen lagen Spruchbänder und Transparente. Immer noch roch es nach Tränengas und Rauch. Polizeibeamte in hautengen, dunkelgrünen Hosen und Khakihemden sowie Nationalgardisten im Tarnanzug säumten mit verschränkten Armen die Straße, während städtische Beamte aus Kleinbussen stiegen und den Schaden besichtigten. Die wenigen nichtoffiziellen Zaungäste wurden von Polizisten mit dunkler Brille lautlosbedrohlich beobachtet.
    Mitch hatte versucht, wieder in sein Zimmer im Holiday Inn zu gelangen, aber irgendwelche unglückseligen Angestellte des Hotels hatten ihn im Auftrag der Polizei abgewiesen. Sein Gepäck – eine Reisetasche – stand noch in seinem Zimmer, aber die Aktentasche hatte er bei sich, und nur die war ihm wirklich wichtig. Er hatte Nachrichten für Kaye und Dicken hinterlassen, aber es gab keine feste Stelle, an der sie ihn zurückrufen konnten.
    Die Tagung war offenbar zu Ende. Die Hotelgaragen spuckten Dutzende von Autos aus, und ein paar Häuserblocks weiter südlich warteten lange Reihen von Taxis auf Fahrgäste mit Rollenkoffern.
    Mitch konnte seine eigenen Gefühle nicht genau dingfest machen. Wut, Adrenalinstöße, eine bittere Welle der klammheimlichen Freude über die Schäden – typische Begleiterscheinungen, wenn man dem gewalttätigen Mob so nahe ist. Scham, die einzige dünne Schutzschicht über dem Furnier der Gesellschaft; seit der Nachricht von dem toten Baby auch Schuldgefühle, weil er vielleicht so falsch gelegen hatte. Und inmitten dieser aufblitzenden Emotionen empfand Mitch am stechendsten ein scheußliches Gefühl des Vertriebenseins. Einsamkeit.
    Was er an diesem Morgen und Nachmittag am meisten bedauerte, war das verpasste Frühstück mit Kaye Lang.
    Sie hatte in der Nachtluft so gut geduftet. Kein Parfüm, frisch gewaschene Haare, glatte Haut, der Atem mit dem Geruch nach Wein, aber nicht unangenehm, sondern blumig. Der Blick ein wenig benommen, ihr Abschiedsgruß herzlich und erschöpft.
    Mit einer Deutlichkeit, die eher Erinnerung als Fantasie war, konnte er sich ausmalen, wie er neben ihr in einem Hotelbett lag.
    Erinnerungen an die Zukunft.
    In seiner Jackentasche tastete er nach den Flugtickets, die er immer bei sich trug.
    Dicken und Kaye stellten einen Rettungsanker dar, einen neuen Sinn in seinem Leben. Irgendwie hatte er Zweifel, ob Dicken etwas für die Fortsetzung dieser Beziehung tun würde. Dicken war ihm nicht unsympathisch; der

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