Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Dreißigerjahre datieren können, werden wir es den Georgiern und Russen übergeben.« Beck wollte, dass die Gräber alt waren, und sie konnte es ihm eigentlich nicht verdenken.
    »Und wenn sie neu sind?« fragte Kaye.
    »Dann werden wir aus Wien eine richtige Untersuchungskommission holen.«
    Kaye warf ihm einen klaren, kühlen Blick zu. »Sie sind neu«, sagte sie.
    Beck leerte sein Glas, stand auf und umklammerte seine Stuhllehne. »Ich bin Ihrer Meinung«, sagte er mit einem Seufzen. »Was hat Sie veranlasst, die Kriminologie aufzugeben? Wenn ich Ihnen nicht zu nahe trete …«
    »Ich habe zu viel über Menschen erfahren«, erwiderte Kaye.
    Grausame, kaputte, dreckige, entsetzlich dumme Menschen. Sie erzählte Beck von dem Lieutenant der Mordkommission, der ihren Kurs geleitet hatte. Er war gläubiger Christ gewesen. Einmal hatte er ihnen Bilder von einem besonders grausigen Tatort mit zwei toten Männern, drei toten Frauen und einem toten Kind gezeigt und den Studenten dann erklärt: »Die Seelen dieser Verbrechensopfer sind nicht mehr in ihrem Körper. Sie brauchen kein Mitleid mit ihnen zu haben. Haben Sie Mitleid mit den Hinterbliebenen.
    Kommen Sie darüber hinweg. Gehen Sie an die Arbeit. Und denken Sie immer daran: Sie arbeiten für Gott.«
    »Er ist durch seinen Glauben bei Verstand geblieben«, sagte Kaye.
    »Und Sie? Warum haben Sie die Fachrichtung gewechselt?«
    »Ich war nicht gläubig«, erwiderte sie.
    Beck nickte und drückte die Hände auf die Stuhllehne. »Kein Schutzpanzer. Nun ja, tun Sie, was Sie können. Im Augenblick haben wir niemanden außer Ihnen.« Er sagte gute Nacht, ging zu der engen Treppe und stieg mit schnellen, leichten Schritten hinauf.
    Kaye blieb noch ein paar Minuten am Tisch sitzen und trat dann durch den Haupteingang des Gasthofes. Sie stand auf der schmalen Stufe aus Granitplatten neben dem Kopfsteinpflaster der Straße und sog die Nachtluft mit ihrem schwachen Abwassergeruch ein. Über dem Dachfirst des Hauses gegenüber sah sie den schneebedeckten Bergkamm so deutlich, als brauchte sie nur den Arm auszustrecken, um ihn zu berühren.
    Am Morgen erwachte sie eingehüllt in warme Laken und eine Decke, die schon seit einiger Zeit nicht mehr gereinigt worden war. Sie starrte ein auf paar vereinzelte Haare – ihre waren es nicht –, die sich in der dicken grauen Wolle nicht weit von ihrem Gesicht verfangen hatten. Das schmale Holzbett mit seinen geschnitzten, rot lackierten Pfosten stand in einem Zimmer mit roh verputzten Wänden, das etwa zweieinhalb Meter breit und drei Meter lang war. Ein einziges Fenster über dem Bett, ein einziger hölzerner Stuhl, ein einfacher Eichentisch mit einer Waschschüssel. In Tiflis gab es moderne Hotels, aber Gordi lag abseits der neuen Touristenrouten, zu weit weg von der Militärstraße.
    Sie glitt aus dem Bett, schüttete sich Wasser ins Gesicht und zog dann Jeans, Bluse und Mantel an. Gerade als sie nach der eisernen Türklinke griff, hörte sie ein kräftiges Klopfen. Beck rief ihren Namen. Sie öffnete die Tür und sah ihn verschlafen an.
    »Sie werfen uns aus der Stadt«, sagte er mit unbewegtem Gesicht. »Sie wollen, dass wir alle morgen wieder in Tiflis sind.«
    »Warum?«
    »Wir sind nicht erwünscht. Soldaten der regulären Armee sind hier und sollen uns eskortieren. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie nicht zum Team gehören, sondern eine private Beraterin sind. Aber das kümmert sie nicht.«
    »Du lieber Gott«, sagte Kaye. »Wieso diese Kehrtwendung?«
    Beck machte ein angewidertes Gesicht. »Das sakrebulo , der Gemeinderat, nehme ich an. Nervös wegen ihrer hübschen kleinen Gemeinde. Oder vielleicht kommt es auch von weiter oben.«
    »Klingt nicht gerade nach dem neuen Georgien«, meinte Kaye.
    Sie fragte sich, wie sich so etwas auf ihre Zusammenarbeit mit dem Institut auswirken würde.
    »Ich bin auch überrascht«, erwiderte Beck. »Wir sind irgendjemandem auf den Schlips getreten. Bitte packen Sie Ihren Koffer und kommen Sie zu uns nach unten.«
    Er wandte sich um und wollte gehen, aber Kaye griff nach seinem Arm. »Funktioniert das Telefon?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, »aber Sie können gern eines von unseren Satellitentelefonen benutzen.«
    »Danke. Und – Dr. Jakeli ist jetzt wieder in Tiflis. Ich würde ihn nicht gern bitten, noch einmal hierher zu fahren.«
    »Wir nehmen Sie nach Tiflis mit«, sagte Beck. »Falls Sie dorthin wollen.«
    »Das wäre großartig«, antwortete Kaye.

    Die weißen Geländewagen der UN

Weitere Kostenlose Bücher