Das Darwin-Virus
einen anderen Anhaltspunkt nennen …«
Mitch schüttelte den Kopf. »Ich würde sehr gerne, wenn ich könnte, Professor.«
Luria faltete energisch seine Papiere zusammen. »Ich glaube, Sie sind ein ehrlicher junger Mann und vielleicht auch ein guter Wissenschaftler. Ich werde Ihnen etwas sagen, wenn Sie darüber nicht mit den Zeitungen oder dem Fernsehen sprechen. Einverstanden?«
»Ich habe keinen Anlass, mit denen zu sprechen.«
»Das Baby wurde tot oder schwer verletzt geboren. Sie hat einen Bruch am Hinterkopf, vielleicht von einem Schlag mit einem im Feuer gehärteten spitzen Stab.«
Sie. Der Säugling war ein Mädchen. Aus irgendeinem Grund war Mitch darüber tief erschüttert. Er nahm noch einen Schluck Wasser. Alle Gefühle in seiner augenblicklichen Lage, der Tod von Tilde und Franco … die traurigen Umstände dieser ganzen Vorzeitgeschichte. Seine Augen wurden feucht und drohten überzufließen. »Entschuldigung«, sagte er und tupfte sich die Tränen mit dem Schlafanzugärmel ab.
Luria sah ihn mitfühlend an. »Das verleiht Ihrer Geschichte doch eine gewisse Glaubwürdigkeit, oder? Aber …« Der Professor hob die Hand, zeigte zur Decke und machte eine kleine, stoßende Bewegung: »Schwer zu glauben ist sie dennoch.«
»Der Säugling ist eindeutig kein Homo sapiens neanderthalensis «, sagte Brock. »Sie hat interessante Merkmale, ist aber in jeder Hinsicht ein Jetztmensch. Allerdings sieht sie nicht sonderlich europäisch aus. Eher anatolisch oder sogar türkisch, aber das ist im Augenblick nur eine Mutmaßung. Und ich kenne kein derartiges Exemplar, das so jung ist. Es wäre unglaublich.«
»Ich muss es geträumt haben«, sagte Mitch und blickte beiseite.
Luria zuckte die Achseln. »Wenn Sie wieder gesund sind, wären Sie dann bereit, mit uns auf den Gletscher zu gehen und selbst nach der Höhle zu suchen?«
Mitch zögerte keinen Augenblick. »Natürlich«, erwiderte er.
»Ich werde versuchen, es einzurichten. Aber erst einmal …« Luria sah Mitchs Bein an.
»Mindestens vier Monate«, sagte er.
»Keine gute Zeit zum Klettern, in vier Monaten. Dann also nächstes Jahr im Spätfrühling.« Luria stand auf. Die Frau namens Clara stellte Lurias Glas und ihr eigenes auf Mitchs Tablett ab.
»Danke«, sagte Brock. »Ich hoffe, Sie haben Recht, Dr. Rafelson. Es wäre ein großartiger Fund.«
Mit einer angedeuteten, höflichen Verbeugung verließen sie das Zimmer.
12
Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta
September
»Jungfrauen bekommen unsere Grippe nicht«, sagte Dicken und blickte von den Papieren und Diagrammen auf seinem Schreibtisch auf. »Wollten Sie mir das erzählen?« Er hob die schwarzen Augenbrauen, sodass seine breite Stirn zu einem Waschbrett voller zweifelnder Furchen wurde.
Jane Salter griff noch einmal nach den Papieren, schob sie zusammen und legte sie nervös, gleichzeitig aber mit energischer Endgültigkeit auf den Tisch. Die Betonwände seines Kellerbüros verstärkten das Rascheln noch.
Viele Büros im Trakt 1 der Centers for Disease Control and Prevention waren umgebaute Versuchstierlabors und -ställe. An den Wänden liefen Betonvorsprünge entlang. Manchmal hatte Dicken das Gefühl, als könne er noch die Desinfektionsmittel und Affenscheiße riechen.
»Das ist die größte Überraschung, die ich aus den Daten ableiten kann«, bestätigte Salter. Sie war eine der besten Statistikerinnen im Haus und ging virtuos mit den verschiedenen Computern um, auf denen sie die meisten Rekonstruktionen vornahm, Modelle entwickelte und Daten verwaltete. »Männer bekommen sie manchmal oder sind im Test positiv, haben aber keine Symptome.
Sie werden Überträger für die Frauen, vermutlich aber nicht für andere Männer. Und …«, ihre Finger erzeugten einen Trommelwirbel auf der Tischplatte, »… wir kennen niemanden, der sich selbst infiziert.«
»SHEVA ist also ein Spezialist«, sagte Dicken und schüttelte den Kopf. »Woher, zum Teufel, wissen wir das?«
»Sehen Sie sich die Fußnote und die Formulierung an. ›Frauen in häuslicher Gemeinschaft mit einem Partner oder solche mit umfangreichen sexuellen Erfahrungen.‹«
»Wie viele Fälle bisher? Fünftausend?«
»Sechstausendzweihundert Frauen und nur etwa sechzig oder siebzig Männer, alles Partner von infizierten Frauen. Das Retrovirus wird nur bei häufig wiederholtem Kontakt übertragen.«
»Klingt gar nicht so verrückt«, sagte Dicken. »Dann ist es nicht viel anders als bei HIV.«
»Richtig«,
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