Das Dekameron
immerwährend tausend Tode erleide, und mir darum doch nicht das kleinste Teilchen Lust gewährt wird. Doch will ich jetzt auf meine Lage nicht weiter eingehen und gebe Pampinea auf, in den kläglichen Geschichten fortzufahren, die meinem Unglück teilweise ähnlich sind. Wenn sie einigermaßen in der Weise fortfährt, wie Fiammetta begonnen, so darf ich sicher hoffen, daß meine Glut durch einige Tautropfen gemildert wird.«
Als Pampinea den an sie gerichteten Befehl vernahm, erkannte sie in ihrer Freundschaft besser den Wunsch ihrer Gefährtinnen als den des Königs in dessen Worten. So beschloß sie denn, mehr in der Absicht, jene zu erheitern, als dem Befehle des Königs zu folgen, eine lustige Geschichte zu erzählen, ohne dabei von der gestellten Aufgabe abzuweichen, und sie begann also:
Das Volk hat ein Sprichwort: »Gilt ein Bösewicht für gut, so glaubt man's nicht, wenn er was Schlechtes tut«, das mir nicht allein reichlichen Stoff bietet, um über das zu reden, was mir aufgegeben ist, sondern an dem sich auch die Größe der Heuchelei der Mönche aufzeigen läßt, die mit ihren langen und weiten Gewändern, mit ihren künstlich gebleichten Gesichtern, mit ihrer Stimme, die sanft und demütig ist, wenn sie fremdes Gut begehren, aber laut und ungestüm, wenn sie an ändern ihre eigenen Laster tadeln oder wenn sie vorgeben, daß sie durch Nehmen, andere aber durch Geben selig werden; die sogar behaupten, daß sie nicht überall wie Menschen sind, die gleich uns sich selbst um ihre Seligkeit zu mühen haben, sondern wie Herren und Besitzer des Paradieses jedem, der da stirbt, je nach der Geldsumme, die er ihnen hinterläßt, einen mehr oder minder vorzüglichen Platz in diesem gewähren können - die mit all diesem, sage ich, zuerst sich selbst, wenn anders sie daran glauben, und dann alle diejenigen zu täuschen suchen, welche ihren Worten Glauben beimessen. Dürfte ich nur, was sie betrifft, alles offenbaren, was zu sagen wäre, so wollte ich manchen einfältigen Seelen klarmachen, was jene in ihren weiten Kapuzen verbergen. Wollte aber Gott, daß es ihnen allen mit ihren Lügen so erginge wie einem Minoriten, der nicht mehr jung war, aber in Venedig für einen der größten Kasuisten galt und dessen Geschichte zu erzählen ich besondere Lust habe, damit eure Gemüter, die noch von Mitleid über den Tod der Ghismonda erfüllt sind, sich vielleicht durch Scherz und Lachen wieder einigermaßen erholen mögen.
In Imola war einmal ein Mann, der ein gar ruchloses und sündhaftes Leben führte und Berto della Massa hieß. Wie seine Schändlichkeiten aber den Imolesen bekannt wurden, kam es bald dahin, daß ihm in seiner Heimat niemand mehr trauen wollte, selbst wenn er die Wahrheit, geschweige denn wenn er Lügen erzählte. So sah er denn wohl ein, daß es in Imola mit seinen Gaunerstückchen nicht mehr gehen wollte, siedelte deshalb nach Venedig, dem Sammelplatz aller Taugenichtse, über und hoffte hier auf neue Art bessere Gelegenheit zu finden, nach seiner Weise im trüben zu fischen, als es bisher anderwärts der Fall gewesen war. Zu diesem Ende stellte er sich über alle schlechten Streiche, die er zuvor begangen, reuigen Gewissens, tat, als habe sich eine unsägliche Demut seiner bemächtigt, wurde der frömmste Christ von der Welt und ließ sich zum Minoriten einkleiden, als welcher er Bruder Alberto von Imola genannt ward.
In diesem neuen Gewände begann er dem Scheine nach ein strenges Leben zu führen, empfahl Bußen und Enthaltsamkeit auf das nachdrücklichste, aß kein Fleisch und trank keinen Wein - wenn er nämlich keinen hatte, der nach seinem Geschmack war. Dem allem zufolge war fast niemand gewahr geworden, daß unser Mönch sich aus einem Diebe, Kuppler, Fälscher und Mörder plötzlich und ohne jene Laster aufzugeben, wenn er ihnen im verborgenen frönen konnte, zu einem gewaltigen Prediger entwickelt hatte. Auch hatte er sich überdies zum Priester weihen lassen und weinte bitterlich über das Leiden Christi, sooft er vor den Augen vieler die Messe las, da Tränen, wenn er ihrer bedurfte, ihn wenig kosteten. Mit einem Worte, er wußte durch seine Predigten und durch seine Tränen die Gemüter der Venezianer in solchem Maße zu gewinnen, daß er fast in jedem Testament als zuverlässiger Vollstrecker und Bewahrer ernannt ward, daß viele ihm ihr Geld zum Aufheben übergaben und daß er Beichtiger und Ratgeber des größeren Teiles aller Männer und Frauen wurde. Auf solche Weise war er
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