Das Dekameron
würden sie ihn niemals als Freund oder Verwandten anerkennen. Da Pietro sich auf solche Weise den Weg verschlossen sah, auf dem allein er ans Ziel seiner Wünsche kommen zu können geglaubt hatte, wünschte er sich vor Gram den Tod. Gern hätte er, wenn nur Gigliuozzo eingewilligt hätte, dessen Tochter auch gegen den Willen aller seiner Verwandten geheiratet. Aber selbst ohne das nahm er sich vor zu erreichen, was er begehrte, wenn nur das Mädchen wollte. Und als er durch einen Dritten erforscht hatte, das Mädchen willige ein, verabredete er mit ihr, aus Rom zu entfliehen.
Nachdem alles zu diesem Zwecke vorbereitet war, verließ Pietro eines Morgens, lange vor Tag, seine Wohnung und schlug mit seiner Geliebten, als beide zu Pferde gestiegen waren, den Weg nach Anagni ein, wo Pietro Freunde hatte, auf die er sich in jeder Hinsicht glaubte verlassen zu können. Unterwegs ließ ihnen die Furcht, daß man sie verfolgen möchte, keine Zeit, ihre Hochzeit zu vollziehen, und so konnten sie unter fortwährenden Gesprächen über ihre Liebe nichts tun als zuweilen einander küssen.
Weil nun aber Pietro mit dem Wege nicht allzu bekannt war, geschah es, daß sie, nachdem sie vielleicht acht Meilen von Rom aus zurückgelegt hatten, dort, wo sie sich rechts hätten halten sollen, einen Weg nach links hin einschlugen. Und kaum waren sie auf diesem weiter als zwei Meilen geritten, so befanden sie sich in der Nähe eines befestigten Hauses, von welchem aus man sie kaum gesehen hatte, als auch schon ein Dutzend Bewaffneter herauskam, um ihnen den Weg zu versperren. Das Mädchen, das sie zuerst, jedoch nicht eher gewahrte, als bis sie ihnen schon ganz nahe waren, rief laut: »Pietro, retten wir uns, wir werden überfallen!« Und mit diesen Worten trieb sie ihr Pferd, so schnell sie nur konnte, einem benachbarten großen Walde zu und drückte dabei, während sie sich an den Sattelknopf klammerte, dem Rosse die Sporen so tief in den Leib, daß dieses sie, vom Schmerz beflügelt, im schnellsten Laufe durch den Wald dahintrug. Da indes Pietro seine Augen mehr auf die Züge der Geliebten als auf den Weg gerichtet hatte, erblickte er den bewaffneten Haufen, der auf sie zukam, nicht so rechtzeitig wie Agnolella. Daher wurde er, während er sich noch umsah, von welcher Seite die Räuber kämen, von ihnen überfallen, gefangen und seines Pferdes beraubt.
Als er ihnen sodann auf ihre Frage seinen Namen genannt hatte, hielten sie untereinander Rat über ihn, und der eine sagte zum ändern: »Der gehört zu den Freunden unserer Feinde. Was können wir Besseres mit ihm anfangen, als daß wir seine Kleider und das Pferd behalten und ihn dann den Orsinis zum Verdruß an eine dieser Eichen hängen?« Alle stimmten diesem Vorschlag zu und befahlen daher dem Pietro, sich zu entkleiden. Während aber dieser in der Todesangst sich anschickte, ihren Befehlen zu gehorchen, geschah es, daß ein Hinterhalt von wohl einem Viertelhundert Bewaffneter plötzlich mit dem Rufe: »Ihr seid des Todes!« über jene ersteren herfiel. Diese ließen nun, durch den Überfall in Schrecken versetzt, den Pietro los und wandten sich gegen die Angreifer, vor deren offenbarer Überzahl sie jedoch alsbald die Flucht ergriffen, auf der jene sie verfolgten.
Als Pietro sich auf diese Weise frei sah, suchte er sich seine Sachen wieder zusammen, bestieg sein Pferd und jagte, so schnell er nur konnte, nach der Seite hin, wo er das Mädchen hatte verschwinden sehen. Da er aber in dem Walde weder Weg noch Steg, noch auch die Huftritte eines Pferdes entdecken konnte, begann er, sobald er sich den Händen derer, die ihn gefangen, als auch der ändern, die jene überfallen, erst sicher entronnen glaubte, zu weinen und war übermäßig traurig, weil er sein Mädchen nicht wiederfand. In allen Richtungen rief er durch den Wald hin nach ihr, doch niemand gab ihm Antwort. Zurückzukehren getraute er sich nicht, und doch wußte er auch nicht, wohin er geraten könne, wenn er vorwärts ginge. Zugleich aber erschreckten ihn die wilden Tiere, die sich in den Wäldern aufzuhalten pflegten, sowohl um seiner selbst als um seines Mädchens willen, das er in Gedanken jeden Augenblick von einem Wolf oder Bär erwürgt werden sah. So trieb der unglückliche Pietro sich den ganzen Tag über unter Rufen und Wehklagen in dem Walde umher, wobei es denn oft geschah, daß er in die Richtung zurückritt, von der er gekommen war, während er vorwärts zu reiten wähnte. Endlich fühlte er sich von dem
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