Das Dekameron
wiedersah, fehlte wenig, daß es nicht vor Freude gestorben wäre. Ihrer selbst nicht mehr mächtig, fiel sie ihm mit offenen Armen um den Hals. Das Nachgefühl der vergangenen Leiden und das gegenwärtige Glück machten sie stumm, so daß sie in einen Strom von Tränen ausbrach. Auch der Jüngling schwieg beim Anblick des Mädchens eine Weile vor Staunen, dann aber sagte er mit einem Seufzer: »Ach, meine Costanza, so bist du denn noch am Leben! Schon lange Zeit ist es her, seit ich hörte, du seiest verschwunden und man wisse auch in unserer Heimat nicht, was aus dir geworden sei.« Und mit diesen Worten umarmte und küßte er sie unter heißen Tränen. Costanza erzählte ihm darauf alle ihre Schicksale und berichtete, mit welcher Aufmerksamkeit sie von der Dame, bei der sie die Zeit über gewohnt hatte, behandelt worden war.
Sobald Martuccio sich endlich nach einem langen Gespräch von seiner Geliebten getrennt hatte, ging er zum König, seinem Herrn, berichtete ihm alles, was ihm und dem Mädchen begegnet war, und fügte hinzu, wie er sie, seine Zustimmung vorausgesetzt, nach christlichem Brauche zu heiraten gedenke. Der König, über die vernommenen Ereignisse nicht wenig erstaunt, ließ das Mädchen zu sich rufen, und als es ihm die Erzählung des Martuccio völlig bestätigte, sagte er: »Nun, so hast du ihn dir wohl zum Manne verdient.« Darauf mußten auf seinen Befehl köstliche und erlesene Geschenke herbeigebracht werden, die er unter Martuccio und Costanza verteilte, wobei er ihnen zugleich freie Hand ließ, über ihr ferneres Los nach Wohlgefallen zu entscheiden.
Martuccio erwies der trefflichen Dame, die Costanza so lange bei sich beherbergt hatte, noch viel Ehrerbietung. Sie schieden von ihr nicht ohne viele Tränen Costanzas und nicht ohne seinen angelegentlichen Dank für alle Freundschaft und Liebe, die sie dem Mädchen erwiesen, wobei er seine Dankbarkeit teils in Worten, teils in Geschenken, wie sie sich für sie geziemten, ausdrückte. Dann bestiegen sie, mit des Königs Urlaub und von Carapresa begleitet, ein kleines Schiff und kehrten mit günstigem Winde heim nach Lipari, wo sie mit größerer Freude aufgenommen wurden, als sich in Worten beschreiben ließe. Hier nun feierte Martuccio bald seine Vermählung mit großen Festlichkeiten. Dann aber genossen beide in Frieden und Freude noch lange die Seligkeit ihrer Liebe.
Dritte Geschichte
Pietro Boccamazza flieht mit Agnolella und stößt auf Räuber. Das Mädchen flüchtet sich in einen Wald und wird von dort zu einer Burg geführt. Pietro fällt gefangen in die Hände der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich, nachdem er noch andere Gefahren überstanden hat, in dieselbe Burg, wo Agnolella sich befindet. Dort vermählt er sich mit ihr, und beide kehren nach Rom zurück.
Es gab keinen in der ganzen Gesellschaft, der nicht Emilias Geschichte Beifall gespendet hätte. Die Königin aber wandte sich, als sie jene am Ziele sah, zu Elisa und gebot ihr, fortzufahren. Elisa gehorchte willig und begann also:
Holde Damen, ich entsinne mich einer traurigen Nacht, die ein junges Paar durch seinen Leichtsinn erleben mußte. Weil dieser Nacht aber viele frohe Tage nachfolgten, will ich euch die Geschichte, als unserer Aufgabe entsprechend, kurz erzählen.
Es ist noch nicht lange her, da lebte in Rom, das, wie es einst das Haupt der Welt war, nun ihr niedrigstes Ende ist, ein junger Mann namens Pietro Boccamazza, der zu einer der angeseheneren römischen Familien gehörte. Dieser verliebte sich in ein wunderschönes und reizendes junges Mädchen, das Agnolella hieß und die Tochter eines gewissen Gigliuozzo Saullo war, der, wenngleich von geringer Herkunft, sich doch bei den Römern großer Beliebtheit erfreute. Auch wußte der Verliebte sich auf so gefällige Weise um ihre Gunst zu bewerben, daß die junge Schöne ihn nicht weniger zu lieben begann, als sie von ihm geliebt ward. Endlich fühlte sich Pietro von seiner glühenden Liebe so überwältigt, daß er unfähig zu sein glaubte, den Qualen des Verlangens nach dem Gegenstand seiner Leidenschaft länger zu widerstehen, und um die Hand des Mädchens anhielt.
Als aber seine Verwandten Nachricht von diesem Schritt erhalten hatten, bestürmten sie ihn alle und tadelten ihn laut wegen seines Entschlusses. Auf der ändern Seite ließen sie auch dem Gigliuozzo Saullo sagen, er solle den Worten des Pietro auf keine Weise Gehör schenken. Wenn er es aber dennoch tue,
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