Das Dekameron
Wärme, ihre Mutter zu keinem Schlafe kommen. Am Morgen nach dieser übel verbrachten Nacht suchte die Mutter Messer Lizio auf und sagte zu ihm: »In der Tat, mein Gemahl, Ihr scheint unsere Tochter nicht besonders liebzuhaben. Was kann es Euch denn verschlagen, wenn sie die Nacht auf dem Erker schläft? Sie hat sich diese ganze Nacht vor Hitze nicht zu lassen gewußt. Und wie könnt Ihr Euch nur wundern, daß sie Gefallen daran findet, die Nachtigall singen zu hören? Ist sie doch noch ein halbes Kind, und junge Leute ergötzen sich nun einmal an den Dingen, die ihnen gleichen.« Als Messer Lizio diese Vorwürfe angehört hatte, sagte er: »Nun, meinetwegen, so laßt ihr denn ein Bett zurechtmachen, das klein genug ist, um auf dem Erker Platz zu finden. Sorge auch, daß ringsherum Vorhänge gespannt sind, und dann mag sie in Gottes Namen dort schlafen und die Nachtigall singen hören, soviel es ihr beliebt.«
Sobald die Maid die Einwilligung ihres Vaters vernommen hatte, ließ sie sogleich ihr Bett auf dem Erker aufschlagen, um schon die nächste Nacht dort schlafen zu können. Dann lauerte sie so lange, bis sie den Ricciardo zu sehen bekam und ihm das verabredete Zeichen geben konnte, das er auch sogleich verstand. Als Messer Lizio nun am Abend hörte, das Mädchen sei zu Bett gegangen, verschloß er die Tür, die von seinem Zimmer aus auf jenen Erker führte, und legte sich dann gleichfalls schlafen. Ricciardo aber erkletterte, sobald alles im Hause still geworden war, zuerst mit einer Leiter eine Mauer. Dann arbeitete er sich an den Vorsprüngen einer anderen, anstoßenden Mauer mit unsäglicher Mühe und großer Gefahr herunterzustürzen, bis zu dem Erker vor, wo sein Mädchen ihn in aller Stille, aber voller Entzücken empfing.
Nach tausend ausgetauschten Küssen legten sich beide nieder und genossen fast die ganze Nacht hindurch alle Lust, die Liebende einander gewähren können, wobei sie denn begreiflicherweise die Nachtigall gar vielmals schlagen ließen. Nun geschah es aber, da ihre Freuden groß, die Nächte aber damals kurz waren und sie den Tag nicht so nahe vermuteten, wie er es wirklich war, daß sie beide, von der warmen Luft sowohl als auch von ihren Liebesspielen erhitzt, völlig unbedeckt einschliefen und daß Caterina, die den rechten Arm unter Ricciardos Hals gelegt hatte, mit der linken Hand das Ding festhielt, das ihr Mädchen euch, zumal vor Männern, zu nennen scheut.
Während sie noch so fortschliefen, überfiel sie der Tag, ohne sie zu wecken. Inzwischen war Messer Lizio aufgestanden, und da ihm eben einfiel, daß seine Tochter auf dem Erker schlief, sagte er bei sich selbst: »Sehen wir doch einmal nach, ob die Nachtigall diese Nacht Caterina einen besseren Schlaf geschenkt hat.« Damit ging er leise auf den Erker hinaus, hob den Vorhang auf, der um das Bett gespannt war, und erblickte sie nackt und bloß und so mit Ricciardo vereint, wie es vorhin beschrieben worden ist, schlafen. Sobald Messer Lizio vollkommen sicher war, daß es Ricciardo sei, schlich er sich wieder fort, ging in das Schlafgemach seiner Frau und weckte diese mit folgenden Worten: »Hurtig, Frau, steh auf und komm geschwind, um anzuschaun, wie deine Tochter an der Nachtigall so viel Wohlgefallen gefunden, daß sie diese gefangen hat und noch in den Händen hält.« »Wie wäre denn das zugegangen?« sagte die Frau. »Komm nur schnell«, erwiderte Messer Lizio, »und du wirst schon selbst sehen.«
Madonna Giacomina zog sich in aller Eile an und folgte dann stillschweigend ihrem Gemahl zum Bette ihrer Tochter, wo sie dann allerdings, als dieser die Vorhänge auseinanderschlug, deutlich sah, wie Caterina die Nachtigall, die sie so gern singen hörte, gefangen hatte und noch festhielt. Hocherzürnt, daß Ricciardo sie so hintergangen hatte, wollte Madonna Giacomina schon Lärm schlagen und den jungen Mann schelten. Messer Lizio aber hielt sie zurück und sagte: »Frau, so dir meine Liebe wert ist, so hüte dich, den Mund aufzutun; denn wahrlich, da sie ihn nun einmal eingefangen hat, so soll sie ihn auch haben. Ricciardo ist von gutem Hause und dabei ein wohlhabender junger Mann. Die Verwandtschaft mit ihm kann uns nur Ehre bringen. Und will er im guten aus meinem Hause entlassen werden, so muß er sich zuvor mit ihr versperchen, damit er dann die Nachtigall in seinen eigenen Bauer gesteckt hat und nicht in einen fremden.«
Madonna Giacomina beruhigte sich, als sie ihren Mann über das Geschehene so wenig erzürnt sah,
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