Das Dekameron
wurde ihr und mir zur Strafe auferlegt, daß sie vor mir fliehen, ich aber sie, die einst so heiß Geliebte, nicht wie den Gegenstand meiner Liebe, sondern wie meine Todfeindin verfolgen muß. Sooft ich sie alsdann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit diesem selben Degen, mit dem ich einst mich umgebracht, öffne ihr, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer die Seite, reiße das harte kalte Herz, in das weder Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wußten, samt den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es den Hunden hier zum Fräße vor. Dann vergehen nur wenige Augenblicke, und sie ersteht nach Gottes gerechtem Ratschluß durch seine Allmacht nicht anders vom Boden, als ob sie nie getötet worden wäre, und danach beginnen die klägliche Flucht und die Verfolgung durch mich und die Hunde von neuem. Da geschieht es denn, daß ich sie jeden Freitag um diese Stunde an diesem Platz einhole und so mißhandle, wie du sehen wirst. Doch wähne ja nicht, daß wir an den anderen Tagen ruhen, sondern wisse, daß ich sie dann an ändern Punkten, wo sie Grausamkeiten gegen mich ersann oder vollführte, verfolge und erreiche. Weil ich nun aus einem zärtlich Liebenden ihr Feind geworden bin, muß ich sie ebenso viele Jahre in dieser Weise verfolgen, wie sie Monate hartherzig gegen mich gewesen ist. Laß mich also den Befehl der göttlichen Gerechtigkeit vollziehen und versuche keinen Widerstand gegen das, was du nicht hindern kannst.«
Von diesen Worten ganz eingeschüchtert, trat Nastagio, dem sich jedes Haar am Leibe sträubte, zurück und harrte angstvoll, die Augen auf das unglückliche Mädchen gerichtet, was der Ritter vornehmen werde. Dieser aber stürzte am Ende seiner Rede wie ein wütender Hund auf das Mädchen los, welches, von den zwei Rüden festgehalten, auf den Knien lag und um Gnade rief, und rannte ihm mit aller Macht den Degen mitten durch die Brust, daß er zum Rücken wieder herausfuhr. Weinend und winselnd fiel die Ärmste von diesem Stoß zu Boden. Der Ritter aber griff zu einem Messer, klappte es auf und öffnete ihr damit die Seite. Dann weidete er ihr das Herz und alles, was um dieses herum lag, aus und warf es den Hunden vor, die es heißhungrig verschlangen. Doch dauerte es gar nicht lange, so erhob sich das Mädchen, als sei nichts von alledem geschehen, und begann in der Richtung auf das Meer zu die Flucht aufs neue. Hinter ihr her stürmten abermals die Hunde, die nicht abließen, sie zu zerfleischen. Auch der Ritter saß, den Degen in der Faust, wieder zu Pferde, und so schnell stürmten Flucht und Verfolgung dahin, daß nach wenigen Augenblicken Nastagio nichts mehr von allem gewahr ward.
Noch lange verweilte er, nachdem dieses Schauspiel an ihm vorübergezogen war, zwischen Mitleid und Furcht schwankend. Dann aber gedachte er plötzlich, wie dieses Ereignis, da es sich alle Freitage wiederhole, geeignet sei, ihn in seinen Wünschen wesentlich zu fördern. Darum merkte er sich die Stelle und ließ, zu seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort heimgekehrt, mehrere seiner Angehörigen und Freunde aus Ravenna zu sich entbieten. »Wohlan«, sagte er zu ihnen, als sie gekommen waren, »schon lange habt ihr mich gedrängt, daß ich von der Liebe zu jener meiner Feindin ablassen und meiner Verschwendung Einhalt gebieten möge. Jetzt bin ich bereit, es zu tun, jedoch unter der Bedingung, daß ihr zuvor noch Messer Paolo Traversari dazu bewegt, mit Frau und Tochter und allen Damen seiner Verwandtschaft am nächsten Freitag zusammen mit euch und den ändern Damen, die ihr wählen möget, das Mittagessen hier bei mir einzunehmen. Warum ich dies verlange, werdet ihr alsdann erfahren.« Jene achteten dies für kein großes Begehren und luden, nach Ravenna zurückgekehrt, als es ihnen an der Zeit schien, die im voraus verabredeten Personen. War es nun auch nichts Leichtes, das von Nastagio geliebte Mädchen zur Einwilligung und Teilnahme zu bestimmen, so kam sie doch mit den übrigen zum Feste.
Nastagio ließ ein verschwenderisches Mittagsmahl herrichten und die Tafel unter den Pinienbäumen rings um die Stelle ordnen, wo er die Strafe des hartherzigen Weibes mit angesehen hatte. Dann wies er Männern und Frauen ihre Plätze an, wobei er den Sitz seiner Geliebten so gewählt hatte, daß der Fleck, an dem er die Wiederholung jenes Schauspiels erwartete, ihr gerade gegenüber war.
Schon war man bis zum letzten Gang gediehen, als das Geschrei des gejagten Mädchens zu aller Ohren zu dringen
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