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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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aufgezehrt haben werde. Deshalb rieten sie ihm mehrmals und baten ihn, Ravenna zu verlassen und sich eine Zeitlang an einem ändern Orte aufzuhalten, weil, wie sie glaubten, auf solche Art seine Liebe und seine Ausgaben abnähmen. Nastagio spottete zwar öfter über diesen Rat; da er jedoch auf ihre vielen Ermahnungen hin nicht immer nein sagen konnte, gab er ihnen endlich nach und ließ auch in der Tat keine geringeren Reisevorkehrungen treffen, als ob er nach Frankreich, Spanien oder sonst einem entfernten Lande hätte ziehen wollen. Als er dann aber zu Pferde gestiegen war und, von seinen zahlreichen Freunden begleitet, Ravenna verlassen hatte, ritt er nach Chiassi, einem vielleicht drei Meilen von der Stadt entfernten Orte, ließ Gezelte mancher Art herbeibringen und aufschlagen und erklärte denen, die ihm das Geleit gegeben, sie möchten nach Ravenna heimkehren, weil er hier zu verweilen gesonnen sei.
    Unter diesen Zelten nun führte Nastagio wieder ein ebenso glänzendes und herrliches Leben wie je zuvor und lud nach alter Gewohnheit bald diese und bald jene zum Mittag- oder Abendessen. Eines Tages aber, ziemlich zu Anfang des Maien und bei wunderschönem Wetter, geschah es, daß Nastagio, ganz in Gedanken an die grausame Geliebte versunken, allen seinen Leuten befahl, ihn allein zu lassen, um ungestörter seinem Trübsinn nachhängen zu können. So irrte er zweck- und ziellos umher, bis er zum großen Pinienwalde gelangte.
    Schon war die Mittagsstunde beinahe herangekommen und Nastagio, unbekümmert um Speise, Trank und andere Dinge, wohl eine halbe Meile weit in den Wald eingedrungen, als ihn plötzlich das laute Weinen und das verzweifelte Wehklagen eines Weibes, das er zu vernehmen glaubte, aus seinen süßen Träumereien schreckte. Da er nun aufblickte, ward er nicht allein zu seinem Erstaunen gewahr, daß er mitten im Pinienhaine sei, sondern er sah nach wenigen Augenblicken auch, wie gerade vor ihm, aus einem dichtverwachsenen Gebüsch von Strauchwerk und Dornen hervor, ein wunderschönes nacktes Mädchen mit fliegenden Haaren und von Stacheln und Ästen zerkratztem Leibe in vollem Laufe unter lautem Weinen und Rufen um Gnade der Stelle zueilte, an der er sich befand. Zu beiden Seiten folgten ihr zwei riesige und wütende Jagdhunde auf den Fersen und packten sie oft und unbarmherzig, wo sie sie erreichten. Hinterher aberjagte auf schwarzem Pferde und in dunkler Rüstung ein Ritter, dessen Gesicht vor Zorn glühte, den Degen in der Faust, und drohte mit entsetzlichen, schmähenden Worten, sie zu morden.
    Nastagio wurde bei diesem Anblick zugleich von Staunen und Abscheu ergriffen. Dann aber weckte das Mitleid mit dem unglücklichen Weibe den Wunsch in ihm, wenn er es irgend vermöchte, ihre Qualen zu endigen und sie dem Tode zu entreißen. In Ermangelung einer Waffe griff er zu einem Baumast, mit dem er, statt eines Stockes, den Hunden und dem Ritter entgegenging. Der Ritter aber rief ihm, sobald er dies gewahr wurde, von weitem zu: »Laß ab, Nastagio, und überlasse mir und meinen Hunden, daß wir vollbringen, was dieses ruchlose Weib verdient hat.« Und nachdem er so gesprochen, packten die Hunde das Mädchen mit aller Kraft an den Weichen und hielten es fest. Während aber der Ritter hinzukam und vom Pferde sprang, trat auch Nastagio heran und sagte: »Obgleich ich nicht weiß, wer du bist, der du mich so gut zu kennen scheinst, kann ich dir doch soviel sagen, daß es eine höchst schmähliche Tat ist, wenn ein gewappneter Ritter ein nacktes Weib morden will und es von den Hunden packen läßt, als wäre es ein wildes Tier. Darum werde ich diese verteidigen, solange ich irgend kann.«
    Darauf erwiderte der Ritter: »Nastagio, ich stamme aus der gleichen Stadt wie du, und du warst noch ein kleines Kind, als ich, den man Messer Guido degli Anastagni nannte, in dies Mädchen hier wahrlich noch viel verliebter war, als du es jetzt in die Traversari bist. Ihr Hochmut aber und ihre Härte stürzten mich in solches Unglück, daß ich mich endlich mit dem Degen, den du hier in meiner Hand siehst, als ein Verzweifelter entleibte und deshalb zur ewigen Pein verdammt bin. Nicht lange darauf starb auch sie, die sich unmäßig über meinen Tod gefreut hatte, und wegen der Sünde der Hartherzigkeit und der Lust an meinen Qualen, welche sie im Wahn, nichts Ungerechtes, sondern etwas Verdienstvolles getan zu haben, nie bereute, wurde sie gleichfalls zu den Strafen der Hölle verurteilt. Als sie nun dorthin gelangte,

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