Das Dekameron
sogleich seines Sohnes, der ihm nun bereits vor fünfzehn Jahren am Strand von Lajazzo durch die Korsaren geraubt worden war, ohne daß er je weitere Nachricht von ihm erhalten hätte. Und wenn er das Alter des Unglücklichen, der da gepeitscht wurde, überschlug, so deuchte es ihm, daß sein Sohn, wenn er noch am Leben wäre, jetzt in denselben Jahren sein müßte. Dies alles bestärkte ihn in der Vermutung, die jenes Mal zuerst in ihm erregt hatte. Weil er aber meinte, daß der junge Mensch, wenn es wirklich sein Sohn sei, sich gewiß seines eigenen sowohl als auch des väterlichen Namens und der armenischen Sprache erinnern werde, rief er, als der Verurteilte ihm ganz nahe gekommen war: »Theodor!« Kaum hatte Pietro diesen Namen vernommen, so blickte er auf. Phineus aber fragte ihn auf armenisch: »Woher stammst du, und von welchem Vater?« Die Schergen hielten aus Rücksicht für den angesehenen Frager inne, so daß Pietro antworten konnte: »Ich stamme aus Armenien, mein Vater hieß mit Namen Phineus, und ich wurde als kleines Kind hierher geschleppt, von welchem Volke weiß ich nicht.«
Als Phineus diese Antwort vernahm, erkannte er in dem jungen Mann zuverlässig den einst verlorenen Sohn. Sofort eilte er weinend mit seinen Gefährten die Treppe hinab und umarmte sein Kind mitten unter den Henkersknechten. Dann aber hüllte er den Sohn in den Mantel von kostbarem Stoff, mit dem er selbst bekleidet war, und bat den Schergen, der ihn zum Tode führen sollte, daß er ihm zuliebe so lange verziehen möge, bis ihm befohlen würde, den Verurteilten weiterzuführen. Der Scherge war gern bereit zu warten. Phineus aber, der schon zuvor durch das Gerücht, welches die ganze Stadt durchlief, erfahren hatte, um welcher Ursache willen der Jüngling zum Tode geführt werde, begab sich eilig mit seinen Gefährten und der ganzen Dienerschaft zu Messer Currado und sprach zu ihm: »Herr, der Mensch, den Ihr da als einen Knecht zum Tode schickt, ist ein freier Mann und mein Sohn. Auch ist er gern bereit, das Mädchen, dem er, wie man sagt, die Jungfernschaft genommen hat, zur Frau zu nehmen. Laßt denn also die Hinrichtung so lange verschieben, bis man Erkundigungen eingezogen hat, ob das Mädchen ihn zum Manne haben will. Denn wolltet Ihr diesen Aufschub verweigern und sie erklärte sich nachher bereit, so hättet Ihr den Gesetzen zuwider gehandelt.«
Die Nachricht, daß der Verurteilte ein Sohn des Phineus sei, überraschte Messer Currado nicht wenig, und er schämte sich, daß der Zufall ihn einen so harten Spruch hatte tun lassen. Da er aber gestehen mußte, daß Phineus mit dem recht hatte, was er behauptete, hieß er ihn sogleich nach Hause gehen und berichtete dann dem Messer Amerigo, den er inzwischen zu sich berufen, was er soeben erfahren hatte. Messer Amerigo, der nicht anders glaubte, als Tochter und Enkel seien schon umgebracht, bereute seine Grausamkeit über alle Maßen, denn es leuchtete ihm wohl ein, daß ohne jenen Mord alles Geschehene hätte wiedergutgemacht werden können. Nichtsdestoweniger sandte er in größter Eile hinaus zu der Tochter, damit sein Befehl, wenn es nicht schon zu spät sei, nicht mehr ausgeführt würde. Der Bote fand den Diener, den Messer Amerigo zuvor hinausgesandt, wie er Violante, die sich nicht so bald hatte entschließen können, zwischen Gift und Dolch zu wählen, die härtesten Worte sagte und sie mit Gewalt zwingen wollte, mit einem von beiden ihrem Leben ein Ende zu machen. Kaum aber hatte er den Willen seines Herrn vernommen, so ließ er das Mädchen in Ruhe und kehrte zu jenem zurück, um ihm über den Hergang der Sache Bericht zu erstatten.
Voller Freude über diese Kunde suchte Messer Amerigo alsbald den Phineus auf, entschuldigte sich schier unter Tränen, so gut er nur wußte und konnte, wegen des Geschehenen und versicherte, wenn Theodor seine Tochter zur Frau nehmen wolle, sei er gern bereit, sie ihm zu geben. Phineus nahm jene Entschuldigung willig auf und erwiderte dann: »Meine Meinung ist, daß mein Sohn Eure Tochter zur Frau nehmen soll, und daß, wenn er es nicht tun will, das über ihn verhängte Urteil vollstreckt werden müßte.«
Nachdem Phineus und Messer Amerigo auf solche Weise übereingekommen waren, fragten sie den Theodor, der zugleich vor Todesfurcht zitterte und sich freute, seinen Vater wiedergefunden zu haben, was er in jener Angelegenheit zu tun gedenke. Als dieser vernahm, daß Violante, wenn er wolle, nun seine Gemahlin würde, war seine
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