Das Dekameron
sie hatte sich auch die Bahn geöffnet, um in Zukunft alles tun zu können, was sie wünschte, ohne sich dabei im geringsten vor ihrem Manne zu fürchten.
Neunte Geschichte
Lydia, die Gattin des Nikostratus, liebt den Pyrrhus. Um an ihre Liebe glauben zu können, fordert er drei Dinge von ihr, die sie alle vollbringt. Überdies ergötzt sie sich in Anwesenheit des Nikostratus mit ihm und macht diesem weis, es sei nicht wahr, was er mit eigenen Augen gesehen.
Neifiles Geschichte hatte allen so gefallen, daß die Damen nicht aufhören konnten, sie zu belachen und darüber zu sprechen, obschon der König mehrere Male Stillschweigen gefordert und dem Panfilo geboten hatte, seine Geschichte zu erzählen. Als sie endlich schwiegen, begann Panfilo folgendermaßen:
Ich glaube nicht, verehrte Damen, daß es irgend etwas gibt, wie schwer und bedenklich es auch sei, das der feurig Liebende sich nicht zu unternehmen getraute. Obwohl uns dies in gar vielen Geschichten bewiesen worden ist, so glaube ich doch, es euch in noch höherem Maße durch eine Geschichte darlegen zu können, die ich euch vortragen will. Ich werde euch von einer Frau berichten, der bei ihren Unternehmungen weit mehr ihr gutes Glück als ihr besonnener Verstand zu Hilfe kam, weshalb ich keiner von euch raten möchte, in die Fußstapfen jener Frau zu treten, von der ich euch zu erzählen gedenke, denn nicht immer ist das Glück so gut gelaunt, und nicht alle Männer in der Welt sind so verblendet, wie dieser es war.
In Argos, einer sehr alten Stadt in Achaia, weit mehr durch ihre alten Könige als durch ihre Größe berühmt, lebte einst ein edler Mann, welcher Nikostratus hieß und dem das Glück, als er dem Alter schon nahe war, eine angesehene Frau gewährte, die nicht weniger unternehmend als schön war und Lydia hieß. Als edler und reicher Mann hielt er eine zahlreiche Dienerschaft, dazu Hunde und Beizvögel, und vergnügte sich häufig an der Jagd. Unter seinen übrigen Dienern aber hatte er einen namens Pyrrhus, einen anmutigen Jüngling, zierlich und schön von Gestalt und zu allem geschickt, was er unternehmen wollte. Ihn liebte Nikostratus vor allen ändern und vertraute ihm mehr als jedem ändern.
Eben in diesen Pyrrhus verliebte sich Lydia so, daß sie weder bei Tag noch bei Nacht ihre Gedanken anderswohin zu richten vermochte als auf ihn. Sei es nun, daß Pyrrhus diese Liebe nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte, genug, er zeigte sich unbekümmert darum. Dies erfüllte die Seele der Dame mit unerträglichem Schmerz. Weil sie aber fest entschlossen war, ihm ihre Liebe zu offenbaren, rief sie eine ihrer Frauen, die Lusca hieß und der sie gänzlich vertraute, zu sich und sprach zu ihr:
»Lusca, die Wohltaten, die ich dir erwiesen habe, müssen dich mir gehorsam und treu machen. Darum hüte dich, daß von dem, was ich dir jetzt sagen werde, niemand etwas erfährt als der, für den ich dir diesen Auftrag geben werde. Du siehst, Lusca, ich bin jung und frisch und reichlich mit allem versehen, was ein Weib begehren kann. Nur über einen Punkt habe ich mich zu beklagen, daß eben mein Mann zu viel Jahre zählt, hältst du sie meinen gegenüber. So tut er mir in dem, woran junge Frauen am meisten Gefallen finden, wenig Genüge. Da ich aber, gleich allen ändern, Begehren danach trage, habe ich mir längst vorgenommen, wenn schon das Schicksal mir darin ungünstig war und mir einen so alten Mann gab, doch nicht dermaßen meine eigene Feindin zu sein, daß ich nicht Mittel und Wege zu meinem Vergnügen und Heile zu finden wüßte. Damit nun aber hierin wie in allem ändern meine Wünsche erfüllt werden, habe ich beschlossen, daß unser Pyrrhus, als der würdigste, sie mit seinen Umarmungen erfülle. Meine Liebe zu ihm ist so groß, daß ich mich nicht wohlfühle, wenn ich ihn nicht sehe, und finde ich mich nicht bald und ohne Aufschub mit ihm zusammen, so fürchte ich wahrlich, daran zu sterben. Darum, wenn dir mein Leben lieb ist, entdecke ihm so, wie es dir am geeignetsten erscheint, meine Liebe und bitte ihn in meinem Namen, daß er zu mir kommen möge, sobald ich nach ihm schicken werde.«
Die Dienerin sagte dies gern zu, und sobald ihr Ort und Zeit gelegen schienen, zog sie Pyrrhus beiseite und richtete ihm, so gut sie konnte, die Botschaft ihrer Gebieterin aus. Als Pyrrhus sie vernahm, erstaunte er sehr, weil er in der Tat noch nie etwas dergleichen wahrgenommen hatte, und fürchtete, die Frau lasse ihm dies nur sagen, um
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