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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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Tische saß. Als Herr Cane es bemerkte, sagte er, mehr um Bergamino zu kränken, als um etwa einen guten Einfall von ihm zu hören: »Bergamino, was fehlt dir, du siehst so verdrießlich aus? Erzähle uns doch etwas.« Bergamino begann darauf, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, folgende Geschichte, die für seine Lage so berechnet war, als hätte er lange Zeit darüber nachgedacht:
    »Mein Gebieter, Ihr müßt wissen, daß Primasseau des Lateinischen besonders kundig war und größere Fertigkeit im Dichten besaß als irgendeiner. Diese Fähigkeiten machten ihn so berühmt, daß, wenn man ihn gleich nicht überall von Person kannte, doch schwerlich jemand zu finden war, der nicht dem Namen und dem Rufe nach gewußt hätte, wer Primasseau war. Als er sich nun einst zu Paris in dürftigen Umständen befand, wie es ihm meist zu geschehen pflegte, weil die Vermögenden seine Vorzüge selten zu würdigen wußten, geschah es, daß er von dem Abte von Clugny reden hörte, von dem man behauptet, daß er nächst dem Papst von allen Prälaten der Kirche Gottes das höchste Einkommen habe. Von diesem erzählte man ihm Wunder an Freigebigkeit, wie er immer Hof halte und wie niemand, der dorthin käme, wo er eben verweilte, Essen und Trinken je verweigert worden sei, nur vorausgesetzt, daß er den Abt darum angesprochen habe, während dieser speiste. Als Primasseau, der an der Bekanntschaft ausgezeichneter Männer und hoher Herren besonderes Wohlgefallen fand, diese Nachrichten vernahm, beschloß er, hinzugehen, um die Freigebigkeit des Abtes mit eigenen Augen zu schauen, und fragte daher, wie weit sein jetziger Aufenthaltsort von Paris entfernt sei. Man erwiderte ihm, er wohne jetzt auf einem seiner Güter, etwa sechs Meilen vor der Stadt, und Primasseau dachte, wenn er des Morgens beizeiten aufbräche, könne er bis zur Tafelzeit dort sein.
    Da er keinen Begleiter finden konnte, ließ er sich den Weg beschreiben; doch fürchtete er, diesen unglücklicherweise verfehlen und an einen Ort geraten zu können, wo er nicht so bald etwas zu essen bekäme. Um in einem solchen Falle nicht Hunger leiden zu müssen, beschloß er, drei Brote mit auf den Weg zu nehmen, denn Wasser, das er freilich nicht besonders gern trank, dachte er wohl überall zu finden. So steckte er die Brote zu sich, machte sich auf den Weg und traf diesen so gut, daß er noch vor der Essenszeit dort ankam, wo der Abt wohnte. Wie er nun eintrat, sich überall umsah und die große Menge gedeckter Tische wahrnahm und die gewaltigen Zurüstungen in der Küche und was sonst alles zu dem Mittagsmahle bereitet wurde, da sagte er zu sich selbst: >Wahrlich, dieser Abt ist wirklich so freigebig, wie man mir erzählt hat.< Eine Weile war seine Aufmerksamkeit so beschäftigt, als des Abtes Seneschall, weil die Essensstunde gekommen war, das Wasser zum Händewaschen herumreichen ließ. Nachdem dies geschehen war, setzten sich alle zu Tische, und dabei traf es sich von ungefähr, daß Primasseau den Platz genau gegenüber der Tür bekam, wo der Abt heraustreten mußte, um in den Speisesaal zu gelangen.
    Am Hofe des Abtes war es Sitte, weder Brot noch Wein noch sonst etwas Eßbares auf den Tisch zu bringen, ehe der Abt sich an der Tafel niedergelassen hatte. Darum ließ der Seneschall, als die Tische gedeckt waren, dem Abt sagen, das Essen sei bereit, sobald er befehlen werde. Der Abt ließ die Tür des Speisesaals öffnen, und weil er beim Gehen geradeaus sah, war von ungefähr der erste Mensch, der ihm in die Augen fiel, Primasseau, den er nicht von Angesicht kannte und dessen Kleidung armselig genug war. Kaum hatte er ihn erblickt, so fuhr ihm plötzlich ein unwürdiger und sonst ganz fremder Gedanke durch den Sinn, und er sagte bei sich: >Solchem Volke soll ich zu essen geben! < Und damit kehrte er um, ließ die Saaltür hinter sich schließen und fragte seine Begleiter, ob keiner von ihnen den Unverschämten kenne, der gegenüber der Tür des Gemaches an einem Tische sitze. Alle antworteten mit Nein.
    Primasseau, der schon eine gute Strecke Wegs zurückgelegt hatte und ans Fasten nicht gewöhnt war, bekam solche Lust zu essen, daß er, als der Abt noch immer nicht wiederkommen wollte, eines der drei mitgebrachten Brote hervorholte und es zu verzehren anfing. Der Abt befahl nach einer Weile einem seiner Diener nachzusehen, ob unser Primasseau weggegangen sei. >Nein, Herr<, antwortete der zurückkehrende Diener, >vielmehr verzehrt er ein Stück Brot, das er sich

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