Das Dekameron
gleichfalls nach Palermo zog. Weil aber mein Mann sehr welfisch gesinnt ist, ließ er sich in geheime Verabredungen mit unserem König Karl ein. Ehe diese indes noch zur Ausführung gebracht werden konnten, hatte König Friedrich Wind davon bekommen, und just als ich mich anschickte, die erste Dame der Insel zu werden, mußten wir fliehen. So nahmen wir denn das wenige mit uns, das wir erlangen konnten - wenig war es im Vergleich zu dem vielen, das wir besessen hatten -, ließen Herrschaften und Schlösser zurück und flüchteten hierher, wo König Karl sich uns so dankbar erweist, daß er uns einen Teil des Schadens vergütet, den wir um seinetwillen erlitten, und Landgüter und Häuser in Menge geschenkt hat. Auch gewährt er meinem Gatten, deinem Schwager, so große Einkünfte, wie du zu sehen Gelegenheit haben wirst. Auf solche Weise bin ich hierher gekommen, wo ich es Gott und nicht dir verdanke, dich, meinen geliebtesten Bruder, gefunden zu haben.«
Und mit diesen Worten fing sie aufs neue an, ihn zu umarmen, und küßte ihm unter Tränen auf das zärtlichste die Stirn.
Als Andreuccio diese Fabel so zusammenhängend und unbefangen aus dem Mund des Mädchens hervorgehen hörte, dem freilich niemals das Wort auf den Lippen erstarb noch die Zunge versagte, als er sich ferner erinnerte, sein Vater sei wirklich in Palermo gewesen und dabei nach eigener Erfahrung die Sitten der Jugend erwog, die gern zu lieben geneigt ist, als er endlich die Tränen der Rührung, die Umarmungen und die keuschen Küsse des Mädchens fühlte, maß er allen Worten vollkommenen Glauben bei und sagte, sobald es schwieg:
»Madonna, mein Erstaunen kann Euch nicht anders als natürlich erscheinen, wenn Ihr bedenken wollt, daß mein Vater, was immer der Grund gewesen sein mag, niemals von Eurer Mutter oder von Euch gesprochen hat, oder wenn er es getan haben sollte, mir wenigstens nichts davon zu Ohren gekommen ist, so daß ich von Euch nicht mehr wußte, als wenn Ihr gar nicht auf der Welt wäret. Je mehr ich aber hier allein stand und je weniger ich dergleichen erwarten konnte, desto lieber ist mir nun, in Euch eine Schwester gefunden zu haben. Und wahrlich, ich wüßte nicht, wie Ihr dem Vornehmsten anders als lieb und wert sein könntet. Wieviel mehr seid Ihr es also mir, der ich nur ein kleiner Handelsmann bin. Doch über eines bitte ich Euch, mir noch Aufschluß zu geben: wie habt Ihr erfahren, daß ich hier in der Stadt bin?« Darauf erwiderte sie: »Heute früh erzählte es mir eine arme Frau, die bei mir ein- und auszugehen pflegt, weil sie nach ihrer Versicherung lange Zeit bei unserem gemeinschaftlichen Vater in Palermo und Perugia gedient hat. Hätte ich es nicht für schicklicher gehalten, daß du zu mir in mein eigenes Haus kämst als ich zu dir in ein fremdes, so wäre ich längst schon bei dir gewesen.« Nun fing sie an, ihn auf das genaueste und namentlich nach allen seinen Verwandten zu fragen, worauf ihr Andreuccio vollen Bescheid gab. Um dieser Tatsache willen glaubte er nur immer mehr, was nicht zu glauben ihm gesünder gewesen wäre.
Das Gespräch hatte lange gedauert, und die Hitze war groß. Daher ließ das Mädchen griechischen Wein und Konfekt kommen und Andreuccio einschenken. Darüber kam die Essenszeit heran, und Andreuccio wollte Weggehen. Sie aber gab es durchaus nicht zu, stellte sich sehr gekränkt darüber, umarmte ihn und sagte: »Ja, nun sehe ich wohl, wie wenig du dir aus mir machst! Nicht für möglich sollte man es halten; du bist bei deiner Schwester, die du nie zuvor in deinem Leben gesehen hast, und in ihrem eigenen Hause, wo du gleich nach deiner Ankunft hättest absteigen sollen, und nun willst du sie wieder verlassen, um im Wirtshaus essen zu gehen. Wenn auch mein Mann leider nicht zu Hause ist, so werde ich doch wohl nach den schwachen Kräften einer Frau dir einige Ehre zu erweisen wissen.«
Andreuccio wußte darauf weiter nichts zu erwidern und sagte nur: »Ich habe Euch so lieb, wie man eine Schwester haben soll; wenn ich aber nicht nach Hause gehe, wird man mich den ganzen Abend zu Tisch erwarten, und mein Ausbleiben wird als Unhöflichkeit betrachtet werden.« »Nun, gottlob«, erwiderte sie dagegen, »habe ich denn niemand in meinem Hause, um sagen zu lassen, daß man nicht auf dich warten soll? Höflicher aber wäre es gegen mich und im Grunde nur deine Schuldigkeit, wenn du deinen Gefährten sagen ließest, sie sollten hierher zum Abendessen kommen. Dann könntet ihr nachher, wenn ihr
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