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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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Neapel keine ändern hübschen Leute gegeben hätte. So antwortete er schnell, er sei bereit, und fragte nur, wo und wann jene Dame ihn sprechen wolle. »Herr«, erwiderte die Kleine, »wenn es Euch gefällig wäre zu kommen, so erwartet sie Euch schon in ihrer Wohnung.« Andreuccio versetzte sogleich, ohne dem Wirt auch nur ein Wort zu sagen: »So geh denn voraus, ich werde dir folgen.«
    Auf diese Weise führte die Kleine ihn in das Haus jener Dirne, welches in einer Straße, das finstere Loch genannt, gelegen war, deren Anständigkeit schon der Name erraten läßt. Andreuccio freilich wußte und ahnte davon nichts und trat in der Meinung, an einen ehrbaren Ort und zu einer liebenswürdigen Dame zu gehen, unbefangen hinter der Kleinen in das Haus. Da die Kleine ihrer Gebieterin bereits zugerufen hatte: »Hier kommt Andreuccio«, so trat diese, als er hinaufstieg, an das obere Ende der Treppe.
    Sie war noch ziemlich jung, schlank gewachsen und von schönem Gesicht, dabei vornehm gekleidet und geschmückt. Als Andreuccio ihr näher kam, ging sie ihm mit offenen Armen drei Stufen entgegen, schlang diese fest um ihn und verweilte, von übermäßiger Zärtlichkeit übermannt, einige Zeit in dieser Stellung, ohne ein Wort zu sagen. Dann küßte sie ihn weinend auf die Stirn und sagte mit gerührter Stimme: »O mein Andreuccio, sei mir willkommen.« Dieser war über so feurige Liebkosungen ziemlich verwundert und sagte ganz erstaunt: »Madonna, ich freue mich Eurer Bekanntschaft.« Sie aber nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihren Saal hinauf, von wo sie, ohne ein Wort zu sprechen, mit ihm in ihre Stube ging, die von Rosen, Orangenblüten und anderen Wohlgerüchen auf das köstlichste duftete. Hier sah Andreuccio ein Bett mit herrlichen Vorhängen, viele Kleider, die nach der Landessitte auf Rechen umherhingen, und andere schöne und kostbare Geräte in Menge, um welcher Dinge willen er als ein Neuling nicht zweifeln zu dürfen glaubte, daß sie eine gar vornehme Dame sein müsse.
    Als sie sich nun miteinander auf einer Truhe am Fußende ihres Bettes niedergelassen hatten, begann sie also zu ihm zu sprechen: »Andreuccio, ich bin gewiß, daß du dich über die Liebkosungen, mit denen ich dich empfange, gleichermaßen verwunderst wie über meine Tränen, denn du kennst mich nicht und hast vielleicht niemals von mir gehört. Noch mehr aber wirst du vermutlich über das erstaunen, was du jetzt hören wirst: ich bin nämlich deine Schwester. Ich sage dir aber, seit Gott mir die Gnade erzeigt hat, daß ich vor meinem Tode einen meiner Brüder zu sehen bekommen habe (und was gäbe ich nicht darum, euch alle zu sehen), werde ich beruhigt aus der Welt gehen, mag ich sterben, wann immer es geschehen soll. Doch von alldem hast du vielleicht in deinem Leben nichts vernommen, und so will ich dich darüber belehren. Wie du wohl erfahren hast, lebte Pietro, dein und mein Vater, lange Zeit in Palermo und wurde und wird dort von allen, die ihn kannten, wegen seiner Herzensgüte und Liebenswürdigkeit sehr geliebt. Vor allen ändern jedoch, die ihm geneigt waren, liebte ihn meine Mutter, die von adeligem Geschlecht ist und damals verwitwet war, am meisten. Sie wurde, ohne den Zorn ihres Vaters und ihrer Brüder und ihre eigene Ehre zu achten, so vertraut mit ihm, daß ich auf die Welt kam und geworden bin, wie du mich siehst.
    Dann aber traten Umstände ein, um derentwillen Pietro Palermo verließ und nach Perugia zurückkehrte. So blieb ich damals als kleines Kind mit meiner Mutter zurück, und unser Vater hat sich, soviel mir bekannt geworden ist, seit dieser Zeit weder um sie noch um mich bekümmert. Wäre er nicht dein Vater, so tadelte ich ihn wegen dieses Betragens auf das ernstlichste, schon wegen seiner Undankbarkeit meiner Mutter gegenüber, die allein von treuer Liebe bewogen, ohne zu wissen, wer er war, sich und zugleich alles, was ihr gehörte, seinen Händen anvertraute, von der Liebe ganz zu schweigen, welche er für mich als seine Tochter, die ihm von keiner Magd und keinem gemeinen Weibsbild geboren worden war, hätte hegen sollen. Doch was hilft das! Was einmal falsch gemacht wurde, ist, besonders wenn es vor langer Zeit geschah, viel leichter zu tadeln als zu bessern. Genug, es war so. Er ließ mich als kleines Kind in Palermo zurück, und da bin ich denn ziemlich so weit herangewachsen, wie du mich siehst, bis meine Mutter mich an einen wackeren Edelmann aus Girgenti verheiratete, der meiner Mutter und mir zuliebe

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