Das Dekameron
Höhe, daß ein Mann hineinkriechen konnte, und stützten ihn sodann auf einen eisernen Pflock. Darauf sagte der eine: »Wer soll denn nun aber hineinsteigen?« »Ich nicht«, entgegnete der andre. »Ich mag auch nicht«, sagte der erste, »Andreuccio kann ja hineinkriechen.« »Das werde ich wohl bleiben lassen«, bemerkte dieser. »Wie«, antworteten die beiden, »du hast keine Lust hineinzugehen? Wahrhaftig, du sollst hinein, oder wir werden dir mit einer von diesen Eisenstangen so viel auf den Kopf geben, daß du tot liegen bleibst.« Andreuccio mußte nun aus lauter Furcht wohl oder übel hineinkriechen. Als er aber drinnen war, dachte er bei sich selbst: die haben mich hineingeschickt, um mich zu betrügen. Sobald ich ihnen alles hinausgegeben habe, werden sie hingehen, wohin sie Lust haben, während ich mühsam wieder aus dem Sarge krieche. So beschloß er denn, im voraus für sich selbst zu sorgen, und dachte dabei an den kostbaren Ring, von dem er reden gehört hatte. Diesen also zog er der Leiche des Erzbischofs, sowie er sie erreicht hatte, vom Finger und steckte ihn sich selbst an. Dann gab er jenen Bischofsstab, Mütze und Handschuhe, entkleidete die Leiche bis aufs Hemd, reichte ihnen alles hinaus und sagte, weiter sei nichts da. Die ändern versicherten, der Ring müsse da sein, und hießen ihn überall suchen, er aber gab vor, ihn nicht zu finden, stellte sich, als suche er ihn, und hielt sie eine Weile hin. Jene aber, die draußen geblieben, waren ebenso schlau wie er, ermunterten ihn, ferner zu suchen, und zogen zu gelegener Zeit den Pflock, weg, der den Deckel emporhielt. Dann entflohen sie, während Andreuccio im Grabmal eingeschlossen blieb.
Wie ihm dabei zumute wurde, kann sich jeder denken. Zwar versuchte er wiederholt, den Deckel mit Kopf und Schultern emporzuheben, doch war alle Mühe umsonst, und er fiel endlich, vom Schmerze übermannt, ohnmächtig auf den toten Körper des Erzbischofs nieder. Es wäre in diesem Augenblick schwer zu entscheiden gewesen, wer mehr tot war, der Erzbischof oder er. Als er aber wieder zu sich kam, begann er bitterlich zu weinen. Es leuchtete ihm ein, daß es für ihn nur zwei Aussichten gab: entweder kam niemand, um das Grabmal zu öffnen, und dann mußte er vor Hunger und Gestank mitten unter den Würmern jener Leiche sterben, oder es kam jemand, und dann wurde er als Dieb gehangen.
Während er solcherlei Gedanken noch gar trübsinnig nachhing, hörte er in der Kirche Schritte und Gespräch von Leuten, die, wie er mit Schrecken vermutete, in derselben Absicht kamen, welche ihn und seine Gefährten hergeführt hatte. Als aber jene das Grabmal geöffnet und aufgestützt hatten, begannen sie miteinander zu streiten, wer hineinkriechen sollte, und keiner wollte. Nach langem Zank sagte endlich ein Pfaffe: »Wovor fürchtet ihr euch denn? Denkt ihr, er wird euch fressen? Die Toten beißen niemand. Ich will selbst hineinsteigen.« Und mit diesen Worten stützte er die Brust auf den Rand des Sarkophags und streckte, den Kopf nach außen gewandt, die Beine hinein, um sich dann hinunterzulassen. Als Andreuccio das sah, richtete er sich auf und faßte den Pfaffen an einem Bein, als ob er ihn niederziehen wollte. Kaum aber fühlte das der Geistliche, so schrie er laut und sprang mit einem Satz aus dem Sarge. Darüber erschraken denn wieder die übrigen so sehr, daß sie davonliefen, als ob hunderttausend Teufel hinter ihnen drein wären.
Als Andreuccio das gewahr wurde, kroch er, froher als er je gehofft hatte, sogleich aus dem Grabmal heraus, das jene offen gelassen hatten, und verließ die Kirche auf demselben Wege, auf welchem er gekommen war. Inzwischen war der Morgen fast herangekommen, und Andreuccio gelangte, den Ring am Finger, ans Meeresufer und von da in sein Wirtshaus, wo seine Gefährten und der Wirt die ganze Nacht über um seinetwillen in Angst gewesen waren. Er erzählte ihnen, was ihm begegnet war, und auf den Rat des Wirtes wurde für gut befunden, daß er Neapel sogleich verlassen sollte. So tat er denn auch augenblicklich und kehrte nach Perugia zurück, nachdem er sein Geld, statt Pferde zu kaufen, wie es seine Absicht gewesen, in einem Ringe angelegt hatte.
Sechste Geschichte
Madonna Beritola verliert ihre zwei Söhne, wird dann mit zwei kleinen Rehen auf einer Insel gefunden und geht nach Lunigiana. Hier tritt einer ihrer Söhne bei dem Landesherrn in Dienst, schläft mit dessen Tochter und wird gefangengesetzt. Inzwischen empört
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