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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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ihrem Vater zurückzukehren begehrt, in dürftigen Umständen befindet. Wenn es Euch nun beliebte, sie unter meiner Obhut dem Vater zuzuschicken, so brächte Euch das große Ehre, mir aber bedeutenden Vorteil, und ich bin überzeugt, daß der Sultan einen solchen Dienst nie vergäße.« Der König gab mit fürstlichem Sinn sogleich seine Zustimmung, ließ die Dame mit ehrenvollem Geleit nach Famagusta führen und empfing sie zusammen mit seiner Gemahlin mit der größten Auszeichnung. Auf die Fragen, die König und Königin wegen ihrer Schicksale an sie richteten, antwortete sie mit einer Erzählung, die Antigonus sie vorher gelehrt hatte.
    Nach einigen Tagen sandte der König sie dann auf ihre Bitte mit einer ehrenvollen und erlesenen Gesellschaft von Herren und Damen unter der Führung des Antigonus an den Sultan zurück. Wie groß die Freude bei ihrer Ankunft war, wird mich wohl niemand erst fragen. Aber auch Antigonus und seine ganze Gesellschaft wurden nicht weniger freundlich aufgenommen. Kaum hatte die junge Fürstin sich ein wenig ausgeruht, so wollte der Sultan von ihr hören, wie sie am Leben geblieben war und wo sie sich so lange aufgehalten hatte, ohne ihm jemals von ihrem Ergehen Kunde zu geben.
    Darauf begann die Dame, die des Antigonus Bericht vollkommen aufgefaßt hatte, also zu ihrem Vater zu sprechen:
    »Es war etwa am zwanzigsten Tag nach meiner Abreise von Euch, mein Vater, als ein fürchterlicher Sturm unser Schiff zerschellte und nachts gegen eine Küste im Westen trieb, nahe bei einem Orte, der Aigues Mortes genannt wird. Was aus den Männern geworden ist, die sich auf dem Schiffe befanden, habe ich niemals erfahren und erinnere mich nur, daß ich am ändern Morgen, als ich gleichsam von den Toten erwachte, nebst zwei meiner Begleiterinnen von den Bewohnern jener Landschaft, die das zerschellte Schiff inzwischen bemerkt hatten und von allen Seiten zusammengelaufen waren, um es zu berauben, ans Ufer getragen wurde. Mehrere junge Männer packten uns, und jede wurde in einer anderen Richtung davongeschleppt. Mich hatten trotz meines Widerstandes zwei junge Leute ergriffen und zogen mich Weinende an den Haaren hinter sich her. Von meinen beiden Frauen habe ich nie wieder etwas gehört. Als jene mich eben über eine Heerstraße hinweg in einen dichten Wald schleppen wollten, geschah es, daß vier Ritter desselben Weges gezogen kamen. Sobald meine Räuber jene vier sahen, ließen sie mich plötzlich los und ergriffen die Flucht. Die vier Ritter, die von ehrbarem und gesetztem Aussehen waren, kamen, als sie jene fliehen sahen, auf mich zu und fragten mich vielerlei, auch sprach ich viel zu ihnen, doch verstanden sie mich ebensowenig wie ich sie. Darauf hielten sie lange miteinander Rat, hoben mich endlich auf eines ihrer Pferde und führten mich in ein nach den Sitten ihrer Religion eingerichtetes Frauenkloster. Was die Ritter dort gesagt haben mögen, weiß ich nicht. Genug, ich wurde mit vielem Wohlwollen aufgenommen und immer mit Achtung behandelt, während ich mit den Klosterfrauen den heiligen Crescentius im tiefen Tale, den die Weiber dortzulande sehr lieb haben, verehrte. Als ich nun schon einige Zeit mit ihnen gelebt und ihre Sprache einigermaßen erlernt hatte, fragten sie mich, wer und woher ich sei. Ich überlegte aber, wo ich mich befand, und fürchtete, so ich die Wahrheit gestand, sie könnten mich leicht als Feindin ihres Glaubens verstoßen. Deshalb antwortete ich, ich sei die Tochter eines angesehenen Edelmanns auf Zypern und habe auf der Fahrt zu meinem verlobten Gemahl in Kreta, vom Sturme weit verschlagen, Schiffbruch erlitten. In dieser Zeit mußte ich aus Furcht vor größerem Schaden manche ihrer Gebräuche mitmachen.
    Als mich aber einmal die erste unter diesen Klosterfrauen, die man Äbtissin nennt, fragte, ob ich nach Zypern zurückzukehren wünsche, antwortete ich, daß mich nach nichts so sehr verlange. Indes wollten sie mich aus Besorgnis für meine Ehre niemand anvertrauen, der nach Zypern reiste, bis endlich, jetzt vor zwei Monaten, einige gesetzte Männer, von denen einer mit der Äbtissin verwandt war, mit ihren Frauen aus Frankreich in jene Gegend kamen. Kaum hatte die Äbtissin vernommen, daß jene nach Jerusalem reisten, um das Grab zu besuchen, in welches der, den sie für einen Gott halten, nach seiner Ermordung durch die Juden gelegt worden ist, so empfahl sie mich ihnen an und bat sie, mich meinem Vater in Zypern zu überbringen. Wie gütig diese Edelleute mich

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