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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Präferenzen hinsichtlich des Empathiezentrums festlegt. Zu diesen Verben zählt Kuno encounter, meet >treffen< und marry >heiraten<, also die echt reziproken Verben, sowie receive from >bekommen von< und hear from >erfahren von<, also solche Verben, die laut Fillmore den Kasusrahmen >Experiencer — Agentive — Object< haben und den Expe-riencer zum Oberflächensubjekt wählen. — Obwohl Kuno seine Behauptungen nicht näher begründet, wirken sie auf mich plausibel. Sie bestätigen Eindrücke, die auch ich beim Umgang mit verschiedenen Texten über die Empathiestruktur dieser Verbklassen gewonnen habe. Um seine Behauptungen zu überprüfen, müßte allerdings eine größere Anzahl von Textanalysen durchgeführt werden.
    Soweit also, in groben Zügen, die Theorie von Kuno und Kaburaki über die Zusammenhänge zwischen Syntax und Empathie. Eine tragende Voraussetzung dieser Theorie, die sie allerdings nicht explizit machen, scheint mir Kunos Analyse der Pronomina-lisierungsregularitäten in der indirekten Rede zu sein. Manche dieser Regularitäten, so Kuno, können nur erklärt werden, wenn man Aussagen dritter Personen auf Ich- oder Du-Aussagen zurückführt. Am überzeugendsten läßt sich das allerdings anhand von englischem Beispielmaterial demonstrieren. Die englische Reflexivpronominalisierung funktioniert bekanntlich anders als die deutsche. Man vergleiche:

    1. Mary said to John that physicists like himself were a godsend. Mary sagte zu John, Physiker wie er wären ein Gottesgeschenk.
    2. Mary heard from John that physicists like himself were a godsend.
    ... Physiker wie er...
    3. Mary said about John that physicists like him/*himself were a godsend.
    ... Physiker wie er...
    (Beispiele aus Kuno (1975: 314f.).)

    Kuno führt diese Pronominalisierungsdaten, die sich nicht mit Hilfe der Ross ’schen Command- Regel (vgl. Ross 1970: 229f.) erklären lassen, auf folgendes Prinzip zurück: »In direct speech, NP like myself/yourself is grammatical, butiVP like himself-/herseif is not« (Kuno 1975: 315).
    Formuliert in direkter Rede, enthalten die Beispiele (1) bis (3) folgende Nominalphrasen:

    1. ...physicists like yourself => himself
    2. ...physicists like myself => himself
    3. ...physicist like him ≠>himself

    Das Prinzip der Zurückführung auf Verhältnisse in der direkten Rede läßt sich m. E. mit Gewinn auf andere Bereiche, vornehmlich den der definiten Beschreibungen, ausdehnen und dann für Empathie-Untersuchungen nutzbar machen. Nehmen wir einmal an, Anna sei meine Freundin, Frau Müller ihre Mutter und die beiden hätten miteinander gesprochen. Ich kann sagen:

    4. Anna hat mit ihrer Mutter gesprochen.
    5. Anna hat mit Frau Müller gesprochen.

    Anna selbst wird von ihrer Mutter kaum als von »Frau Müller« reden. Sie wird, beispielsweise, kaum sagen: »Ich habe mit Frau Müller gesprochen .« Wenn ich mit Anna spreche, bin ich, da sie meine Freundin ist, zur Empathie geradezu verpflichtet und darf nicht sagen: »Hast du mit Frau Müller gesprochen ?« Wenn ich Satz 4. äußere, beschreibe ich das Ereignis eher aus Annas Sicht, versetze mich in ihre Beziehungsstrukturen. Wenn ich 5. äußere, tue ich das nicht, sondern ich beziehe mich eher auf meine eigene, weniger enge Beziehung zu Annas Mutter, oder auf die Beziehung einer Gesprächspartnerin, für die Annas Mutter eventuell auch nur »Frau Müller« ist.
    Ein Beispiel aus einem biographischen Text soll das Gesagte noch einmal aus einer anderen Perspektive beleuchten:

    Der Sohn ist tief gekränkt. Nach einem weiteren Streit mit der Mutter — diesmal geht es wieder um ihren Hausfreund — , verläßt er sie endgültig. Obgleich die Frau noch 24 Jahre lebt, wird er ihr nicht mehr begegnen. ( Koesters , S. 186; Hervorhebung von mir.)

    Es handelt sich um Johanna Schopenhauer und ihren Sohn Arthur — besser gesagt: um Arthur Schopenhauer und seine Mutter Johanna Schopenhauer , denn die Probe stammt aus einem Text über Arthur Schopenhauer. Wenn der Autor im letzten Satz auf die Mutter mit die Frau referiert, so wirkt das auf uns mehr als kühl und distanziert, ja fast abschätzig. Es kann als Beweis der Einfühlung in Arthur Schopenhauer interpretiert werden, der möglicherweise 24 Jahre lang von seiner Mutter nur noch als von »der Frau« gesprochen hat. Oder es ist einfach die Perspektive des Autors. Wäre die Beziehung zwischen Mutter und Sohn nicht gestört gewesen, so hätten wir jedenfalls eher mit der Formulierung Obgleich seine Mutter noch

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