Das Deutsche als Männersprache
Familie Marx, und Karl Marx, in: Blumenberg, S. 115)
Vier verschiedene Biographen schildern »Vorfälle« im Leben großer Dichter und Denker, die zugleich auch Vorfälle, besser gesagt: Katastrophen, im Leben fast unbekannt gebliebener Frauen waren, von denen wir in zwei Fällen nicht einmal den Namen kennen. Es handelt sich um Variationen eines Grundmusters: Eine Haushälterin, Kammerzofe oder sonstwie dienende und versorgende Frau, immer aber eine Frau in abhängiger Stellung, bekommt ein Kind von dem jeweiligen berühmten Mann. Von Heirat ist keine Rede. Was das im 19. Jahrhundert für die betroffene Frau gesellschaftlich, ökonomisch und daher oft auch gesundheitlich bedeutete, brauche ich hier nicht auszumalen.
Die Biographen zeigen aber keine Spur von Mitgefühl, Einfühlung in das Schicksal der Frau. Zwar ist von »Sorgen«, »Krise«, »Elend« und »menschlichem Konflikt« durchaus die Rede, jedoch hat nur Hegel »Sorgen«, nicht die Frau ohne Namen, die das Kind erwartet. Im Falle Hebbel gerät »das Verhältnis« in eine Krise, nicht Elise Leasing. Im Falle Marx belasten das »Elend« und der »menschliche Konflikt« nicht Helene Demuth, sondern die Familie bzw. die Ehe.
Weiter fällt an diesen fünf Texten auf, daß die Hauptbeteiligten in keinem Fall beide als aktiv beteiligt geschildert werden. Über Hegel und Schopenhauer heißt es stereotyp: Er machte ihr ein Kind. (Wenn es eheliche Kinder gewesen wären, so hätten wir wohl zu lesen bekommen: Sie schenkte ihm ein Kind .) Im Falle Raimund war, so will der »launige« Text uns glauben machen, der Vater überhaupt nicht beteiligt, nur die Mutter ist aktiv geworden. Im Falle Hebbel und Marx war anscheinend niemand aktiv beteiligt; es kommen jedenfalls keine Handlungsverben vor: Elise war schwanger; Marx war der Vater Frederick Demuths, heißt es lediglich.
Zwei der Frauen werden mit Vornamen genannt, Louise und Elise, eine mit vollem Namen, Helen e Demuth. Die beiden namenlosen Frauen werden eingeführt als Frau seines Hauswirts bzw. eine Kammerfrau. Ihnen wird nicht nur kein Name zugebilligt, sondern auch keinerlei aktive Beteiligung. In beiden und nur in diesen Fällen heißt es, »er machte ihr ein Kind«. Das mag, bei einer so kleinen Auswahl, Zufall sein. Nicht unplausibel scheint mir aber auch die Interpretation, daß dort, wo sowieso bloß eine so unerhebliche Person wie eine Kammerzofe oder die Frau eines Hauswirts betroffen war, das »Kavaliersdelikt« dem jeweiligen Kavalier auch ruhig als Tat zugeschrieben werden kann. In den anderen Fällen, wo die beteiligte Frau auch sonst ein »biographischer Faktor« ist, besteht eher die Neigung, die Tat, da peinlich, entweder ganz der Frau zur Last zu legen (Fall Raimund) oder zu mystifizieren, sie sozusagen mittels der Sprache aus der Welt zu schaffen (Hebbel, Marx).
Natürlich wäre es lohnend, diese Texte noch viel feiner zu analysieren. Ich habe sie aber, wie gesagt, nur vorgestellt, um den Begriff >Empathie< einführend zu illustrieren. Es dürfte klar sein — auch ohne linguistische Analyse — , welche der beiden Hauptpersonen des »Vorfalls« dem jeweiligen Autor am Herzen lag und welche ihm herzlich egal war. Die Frage ist aber, welche sprachlichen Mittel diesen Eindruck hervorrufen. Um diese Mittel klar herauszupräparieren, d.h. um sie von anderen Einflußfaktoren getrennt halten zu können, brauchen wir eigentlich Texte, die sachlich noch enger zusammengehören als die soeben diskutierten. Es müßten Texte sein, die nicht verschiedene, sondern ein und denselben Sachverhalt schildern und darüber hinaus lexikalisch und syntaktisch möglichst übereinstimmen sollten bis auf diejenigen Elemente, in denen sich die Empathie manifestiert. Ich habe tatsächlich zwei solche Texte gefunden. Doch bevor ich diese beiden Texte vorstelle und analysiere, möchte ich den Stand der Forschung zum Thema >Syntax und Empathie< referieren.
3 Die Theorie von Kuno und Kaburaki 1975 über Empathie-Phänomene in der Syntax
Was ich hier als »Empathie« einzukreisen versuche, hat zweifellos starke Ähnlichkeit mit dem, was die Literaturwissenschaft Perspektive« bzw. >point-of-view< nennt. Meist wird unterschieden zwischen einer »auktorialen« Perspektive der allwissenden Oberschau und einer »personalen«, die in eine der Personen der Handlung verlegt ist. Ein häufig eingesetztes Kunstmittel der personalen Perspektive ist z. B. die sogenannte erlebte Rede, auch »style indirect libre« genannt. Die
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