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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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wird der Sohn Fritz geboren, der die Hauptperson nicht einmal erwähnt , verträgt sich nicht mit den Stilanforderungen der »Zielgruppe« dieses Buches.
    Diese Erwartungen der Zielgruppe also sind es, da besteht für mich kein Zweifel, die die Herausgeberin zur Redaktion veranlaßt und die Art und Weise der syntaktischen Veränderungen diktiert haben. Möglicherweise gehört Jutta Radel selbst zu dieser Zielgruppe — aber das kann offenbleiben. Es spielt für die Analyse keine Rolle, ob zum Ausdruck gebrachte Empathie »echt« oder nur »gespielt« ist. Der individualpsychologische Begriff der Empathie, den Kuno und Kaburaki noch allein am Sprecher festmachen, wird durch diese Betrachtungsweise entpsychologisiert und im Kontext der Normen für soziale Interaktion verankert. Der Ausdruck meiner Empathie kann von meinen Sozialpartnern erwartet, ja sogar eingeklagt werden, wenn er ausbleibt. B ei Todesfällen z. B. habe ich mein »Beileid« zumindest zu »bezeugen«; Unterlassung wird als sozialer Verstoß gewertet und geahndet. Ob ich tatsächlich mitleide, können soziale Konventionen nicht regeln — per definitionem nicht.
    So gesehen gewinnt die eingangs erwähnte Problemstellung der Literaturwissenschaftlerin noch an Brisanz. Ihre Empörung müßte sich nicht nur gegen die Autoren jener Zeitungsberichte, sondern mit noch größerer Vehemenz gegen die Zielgruppe solcher Texte richten — letztlich eigentlich gegen eine Gesellschaft, in der sich keine sozialen Konventionen herausgebildet haben, die das eklatante Fehlen von Empathiebezeugungen für Frauen sanktionieren. Die Autoren handeln in voller Übereinstimmung mit ihrer Zielgruppe, sonst würden sie sich nämlich hüten, so zu schreiben.
    Wenden wir uns lieber ab von diesem für unsere Gesellschaft so beschämenden Befund und kehren wir zu den beiden Texten zurück, wo wir — wenigstens einmal — das Gegenteil der sonst gültigen Empathiebezeugungsnormen nachweisen können.
    Die Struktur von A entspricht der Textsorte »amtliches Protokoll«. Auf das Stichwort Hilde Coppi folgen, wie bei der Erfassung einer gerichtsnotorisch gewordenen Person, »relevante Informationen«, teilweise im Telegrammstil. Der einleitende Satz ist z.B. unvollständig; es fehlt sowohl das Subjekt als auch das finite Verb.
    Text B dagegen hat die Form einer knappen Erzählung. Hilde Coppi fungiert nicht als Stichwort, als ein Punkt unter vielen auf einer Liste, sondern ist in den Text, als Subjekt des ersten Satzes, eingegliedert. Der gesamte Text könnte z.B. in einem Brief vorkommen, in dem einer Freundin oder einem Freund über das Schicksal Hilde Coppis berichtet wird. Hilde Coppi könnte dabei ohne weiteres eine Freundin, Nachbarin oder sonstwie gute Bekannte der Schreibenden sein. Eine mögliche Umgebung von Text B wäre etwa: »Du hast mich gebeten, Dir von unserer lieben Nachbarin, der Hilde Coppi, zu erzählen. Es fällt mir noch heute schwer, davon zu sprechen, also mache ich es kurz: Hilde Coppi wurde wegen Zugehörigkeit zu einer sozialistischen Widerstandsgruppe...«
    Ein solcher Vorspann wäre mit Text A nicht kompatibel.
    Text A informiert uns darüber, daß Hilde Coppis Mann Hans Coppi hieß. Jutta Radel hat diese Information gestrichen. Dafür erfahren wir bei ihr explizit das Todesjahr, 1943, das wir bei Text A erschließen müssen. Daß der Mann von Hilde Coppi ebenfalls Coppi hieß, hätten wir uns wohl denken können. Die Nennung des Vornamens hätte, informationstechnisch gesehen, durchaus gereicht. Die zweite Nennung des Nachnamens ist so redundant wie in Text B die Jahreszahl 1943. Es ist aber nun mal nicht üblich zu sagen »Hilde Coppi mit ihrem Mann Hans«. Üblich ist dergleichen nur bei Frauen und Kindern: »Ronald Reagan mit seiner Frau Nancy«, »Hilde Coppi und ihr Sohn Fritz«.
    Was die Benennung und Beschreibung der drei Personen betrifft, so kann man in Text A zwei Perspektiven identifizieren, wohingegen Text B die einmal gewählte Perspektive beibehält. Stellen wir uns einmal ein Familienfoto vor. Es zeigt Hilde Coppi, Hans Coppi und Fritz Coppi. Wenn wir die Personen jemandem beschreiben wollen, können wir ganz verschiedene Perspektiven wählen. Z.B. können wir sagen: »Das ist Hans Coppi, das ist seine Frau und das sein Sohn .« Oder: »Das ist Fritz Coppi, das ist seine Mutter und das sein Vater .« Diese möglichen Perspektiven wurden weder in Text A noch in Text B gewählt. Nehmen wir Hilde Coppis Perspektive ein, so sagen wir: »Das ist

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